Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
in einem Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Persönlichkeiten. Ein Versuch offenbar, den sogenannten Sachsensumpf trockenzulegen. Dieses Gewirr aus Korruption, Immobilienspekulationen, Schießereien und Verwicklungen bis in höchste Kreise, das seit 1992 nicht gelöst worden war.
Dass die Vorfälle im Jasmin fünfzehn Jahre später noch einmal die Öffentlichkeit erregten, ist geheimen Recherchen des sächsischen Verfassungsschutzes zu verdanken. Dieser hatte von 2003 bis 2006 die organisierte Kriminalität im Freistaat beobachtet. Die Beamten trugen Informationen aus ganz Sachsen zusammen, dokumentiert auf insgesamt 15 000 Aktenseiten. Die Fälle reichten teilweise bis Anfang der neunziger Jahre zurück. Es ging um Immobilienschiebereien, Rotlicht-Affären, Korruption, um Rocker und die italienische Mafia. Und immer wieder um den Verdacht, dass öffentlich Bedienstete gemeinsame Sache mit Kriminellen gemacht hatten und in Abhängigkeiten geraten waren. Allein die Verfassungsschutz-Recherchen zu Leipzig füllten zahlreiche Bände und liefen unter dem Code-Namen »Abseits III «. Die Erkenntnisse stammten von mehreren Informanten. Unter ihnen waren, wie man heute weiß, Beamte aus Polizei und Justiz, aber auch immer noch geheim gehaltene Quellen aus dem engen Umfeld der Verdächtigen.
2006 musste der Verfassungsschutz die Beobachtung der organisierten Kriminalität einstellen, die Akten drohten, geschreddert zu werden. Doch inzwischen hatten einige engagierte Politiker und Journalisten mitbekommen, welch politischer Sprengstoff da insgeheim entsorgt werden sollte. Im Frühjahr 2007 enthüllte Der Spiegel Details aus den Verschlusssachen des Verfassungsschutzes. Die Story unter dem Titel »Sächsischer Sumpf« drehte sich vor allem um Leipzig. Die Spanne der Vorwürfe reichte weit. Meist ging es um Grundstücksgeschäfte. So sollen nach dem blutigen Anschlag auf einen Manager der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Ermittlungen verschleppt worden sein. Jahrelang blieben die Hintermänner unbehelligt. Gar nicht aufgeklärt wurde der Mord an einer Justizangestellten, die von Amts wegen mit Immobilien beschäftigt war.
Schließlich wurde auch das Jasmin genannt – als Minderjährigenbordell, in dem höchste Kreise der Leipziger Gesellschaft verkehrt und sich damit erpressbar gemacht haben sollen. Der »Sachsensumpf«-Skandal alarmierte die Öffentlichkeit und drohte die CDU -geführte Landesregierung in eine tiefe Krise zu stürzen. Eilends wurde Aufklärung versprochen und die Dresdner Staatsanwaltschaft beauftragt, ohne Ansehen der Person zu ermitteln. Doch bevor diese die Akten des Geheimdienstes überhaupt vollständig prüfen konnte, erklärte die sächsische Landesregierung die Vorwürfe plötzlich zu »heißer Luft«. Eine übereifrige Verfassungsschützerin und ein frustrierter Kriminalkommissar hätten sich eine Verschwörungstheorie zusammengereimt – beide wurden öffentlichkeitswirksam als Erfinder des »Sachsensumpfes« hingestellt. Zeugen erinnerten sich auf einmal nicht mehr, Beamte distanzierten sich von früheren Ermittlungsansätzen. Neugierige Journalisten sahen sich zunehmend Strafverfahren ausgesetzt.
Eigentlich sollten die Vorgänge im Jasmin den Schwerpunkt der Ermittlungen zu Leipzig bilden. Doch das Verfahren lief von Anfang an merkwürdig ab. Zunächst wurden in Leipzig hoch angesehene Personen befragt. Sie waren in den Verfassungsschutz-Akten als mutmaßliche Freier des Jasmin genannt worden, bestritten aber jeden Kontakt zum Rotlicht-Milieu. Auch Kugler, der ehemalige Bordellbetreiber, wurde vernommen. Er stritt die Vorwürfe ab. Kugler widerrief sogar brisante Aussagen, die er der Polizei zwischenzeitlich zweimal zu Protokoll gegeben hatte. Wir, die Opfer, die Mädchen, die im Jasmin zur Prostitution gezwungen worden waren, blieben weitgehend außen vor. Die Staatsanwälte in Dresden interessierten sich kaum für uns, sahen zunächst keine Notwendigkeit, uns als Zeuginnen zu befragen. Dabei wären unsere Erinnerungen doch entscheidend gewesen.
Stattdessen fühlte sich der Chef der Dresdner Staatsanwaltschaft mitten in den ansonsten streng geheim gehaltenen Ermittlungen bemüßigt, die verdächtigten Leipziger Honoratioren öffentlich in Schutz zu nehmen. In Interviews klagte er, diese »völlig unbescholtenen« Persönlichkeiten seien Opfer einer »regelrechten Hexenjagd« geworden, ihr Ruf auf Jahre beschädigt.
Erst als die beiden freien Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt
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