Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Aussagen dort den Eindruck von Unsicherheit erweckten, obwohl ich mich bei der Vernehmung gar nicht unsicher gefühlt hatte. Und meine Ausbildung als Büroassistentin war unter den Tisch gefallen, ich mutierte zur »Hausfrau ohne Beruf«. Im Vergleich zu den ganzen Ungereimtheiten und Demütigungen, die während der mehr als vierstündigen Befragung noch folgen sollten, waren das allerdings zwei Kleinigkeiten.
Im Protokoll steht, ich hätte erzählt, mein Name sei in den Akten des Jahres 1994 falsch geschrieben worden. Damals trug ich noch meinen Mädchennamen, ich war mit meinem Mann noch nicht einmal verheiratet, wie also hätte ich Kopp heißen können? Ich war schließlich erst 17 Jahre alt, besuchte ein katholisches Internat, und meine Mutter hätte nie ihre Einwilligung zu einer Heirat vor meinem achtzehnten Lebensjahr gegeben.
Während der weiteren Vernehmung wurde ich mit vermeintlichen Widersprüchen in meinen Aussagen konfrontiert. Bei der ersten Befragung unmittelbar nach unserer Befreiung stand ich noch so unter Schock, dass ich zu einigen Dingen nur vage Angaben machen konnte. Bei der zweiten Vernehmung im April 1993 hatte ich sehr viel detaillierter Auskunft geben können. Ich hatte von der Imbissbude erzählt, von Schwarte, der Fahrt in die Merseburger Straße, dem Getränk, das mich völlig benebelt hatte. Bei all diesen Aussagen hatte ich immer wieder darauf hingewiesen, dass mir im Jasmin das Zeitgefühl abhandengekommen war, dass sich Erinnerungsfetzen nur langsam zusammenfügen lassen.
Nun musste ich mir den Satz vorhalten lassen, warum dies oder jenes nicht im Protokoll aus dem Jahre soundso stünde.
»Wie erklären Sie sich diese Widersprüchlichkeiten, Frau Kopp?«
»Ich kann nur das wiedergeben, was mir in Erinnerung geblieben ist. Ich lebe seit 15 Jahren mit diesen Einzelheiten. Seit 15 Jahren sind das genau die Situationen, die mich immer belastet haben und bis heute noch belasten, die immer wieder hochkommen und immer wieder dieselbe Intensität haben. Das kann man sich nicht aus den Fingern saugen.«
Auf andere, viel größere Ungereimtheiten wurde nicht näher eingegangen. Zum Beispiel auf die Frage, was nach meiner Befreiung protokolliert worden war und was nicht; ich habe kein entsprechendes Protokoll gesehen. Oder dass im April-Protokoll des Jahres 1993 meine Schilderungen nur sehr verknappt wiedergegeben worden waren.
*
Dann gab es eine kurze Unterbrechung für mich, während der Wolfgang über die Gerichtsverhandlung 1994 befragt wurde. Mein Mann konnte sich nur vage an die Verhandlung erinnern, er hatte Kugler die meiste Zeit angestarrt und Mühe gehabt, seine Wut im Zaum zu halten.
Nach der Pause führte Wilhelm die Befragung allein fort, Müller hatte den Raum verlassen, um Trixi zu vernehmen. Auch sie war in Begleitung ihrer Anwältin erschienen.
Der Oberstaatsanwalt wollte wissen, ob ich früher schon einmal, also vor meinem Gespräch mit Ginzel und Datt, zu den Vorfällen im Jasmin befragt worden war. Ich bejahte und erzählte von der mysteriösen Vernehmung am See im Jahr 2000. Auf die Frage, warum diese Vernehmung nicht auf einer Polizeidienststelle stattgefunden habe, hatte ich selbst keine Antwort. Außer, dass die Beamten mir damals gesagt hatten, dies diene meiner Sicherheit, konnte ich nichts weiter dazu sagen. Der Oberstaatsanwalt legte mir das Protokoll jenes Tages vor. Ich hatte es nie zuvor gesehen, es auch nie unterschrieben. Ich war erstaunt, dass es gerade einmal dreieinhalb Seiten lang war und insgesamt nur vier Fragen umfasste. Es war einfach unglaublich.
Ich erzählte dem Oberstaatsanwalt, dass die Vernehmung stundenlang gedauert und mir drei Mappen mit Fotos und Zeitungsausschnitten vorgelegt worden waren, auf denen ich einige Personen eindeutig als Kunden des Jasmin identifiziert hatte. Selbst den letzten Satz der beiden Polizisten erwähnte ich: »Wenn Sie irgendwann in der Zeitung lesen, ›Zwei Polizisten im See ertränkt‹, wissen Sie, warum.«
Im 2000er-Protokoll hingegen war nur von den Bildern des »offiziellen Teils« die Rede, nicht aber von den darüber hinaus vorgelegten. Außerdem wurde mir vorgehalten, dass ich bei meiner Identifizierung unpräzise gewesen sei, Jasmin und Ines den »falschen Kunden« zugeordnet und zwei der Männer verwechselt hätte. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, erzählte noch einmal detailliert, wie das Treffen am See abgelaufen war, welche Personen ich erkannt hatte und welche Erinnerungen ich mit diesen
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