Die Zeit, die Zeit (German Edition)
sich seither verändert hat, wieder in den ursprünglichen Zustand. Dann müssen wir uns doch physisch an diesem Zeitpunkt befinden. Logisch?«
»Logisch schon, aber wie wollen Sie die Veränderungen rückgängig machen?«
Knupp sah ihn herausfordernd an. »Mit Ihrer Hilfe.«
Peter Taler schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich soll Ihnen helfen, den Zustand des… Welcher Tag war es?«
»Der elfte Oktober neunzehnhunderteinundneunzig.«
»Ich soll Ihnen also helfen, den Zustand des elften Oktober neunzehnhunderteinundneunzig wiederherzustellen. Und wenn das gelingt, sehen Sie Ihre Frau wieder.«
»Das ist meine große Hoffnung.«
»Und ich?«
»Sie wissen dann, wie’s geht. Sie machen in Ihrer Wohnung alle Veränderungen seit Lauras Tod rückgängig.«
»Ich habe nichts verändert.«
»Umso besser. Alles, was Sie von Ihrem Fenster aus sehen, versetzen Sie in den Zustand des besagten Tages zurück. Ich habe jedes Detail dokumentiert. Wir helfen Ihnen, den Moment wiederherzustellen, an dem Sie dem Schicksal eine andere Wende geben können.«
»Wir?«
»Martha und ich. Kommen Sie.« Knupp löschte das Licht im Vermessungszimmer und führte ihn hinunter ins Wohnzimmer. »Bier?«, fragte er. Als Taler ablehnte, setzte er sich zu ihm an den Tisch und fing an zu erzählen.
»In den Sommerferien neunzehnzweiundneunzig – ich war Primarlehrer, wir mussten uns nach den Schulferien richten – fuhren wir nach Kenia. Wir hatten lange geschwankt zwischen Nepal und Kenia. Martha hatte begonnen, die Bücher des Dalai Lama zu lesen, und interessierte sich für Tibet. Ich, der Hobbyfotograf, träumte von einer Fotosafari. Und, wie meistens in solchen Fällen, setzte ich mich durch. Wir flogen nach Kenia.
Eine Woche fuhren wir mit einer lauten Reisegruppe in zebragestreiften VW -Bussen herum und fotografierten alle die gleichen Motive. Danach, als kleine Wiedergutmachung, verbrachten wir noch einige Strandtage in der Nähe von Mombasa.
Einen Monat nach unserer Rückkehr klagte Martha über Kopf- und Muskelschmerzen. Weil sie dazu noch Fieber hatte, legte sie sich ins Bett und verarztete sich mit den bewährten Grippemitteln. Es dauert, scherzte sie, entweder sieben Tage oder eine Woche.
Nach einer Woche waren die Symptome nicht weg, sondern schlimmer geworden. Sie ging zu unserem Hausarzt. Der untersuchte sie, verschrieb ihr fiebersenkende und schmerzstillende Medikamente und nahm Blut ab.
In der Nacht begann der Schüttelfrost, Martha hatte über vierzig Grad Fieber. Ich holte den Hausarzt aus dem Bett, und der empfahl Essigsocken. Aber am nächsten Morgen machte er einen Hausbesuch. Er hatte inzwischen die Resultate der Blutanalyse bekommen. Die Diagnose lautete auf Malaria tropica. Er wies Martha in die Stadtklinik ein.
Ein paar Stunden nach der Einweisung verschlechterte sich ihr Zustand. Sie war verwirrt, wusste nicht, wo sie war, erkannte mich nicht, schlief nur noch und fiel schließlich ins Koma.
Martha wurde auf die Intensivstation gebracht. Sie musste künstlich beatmet werden, an hundert Apparate angeschlossen und schließlich…«
Knupp brach die Schilderung ab. Er hatte jetzt Tränen in den Augen und breitete hilflos die Arme aus.
»Ich weiß«, murmelte Peter Taler. Auch er kämpfte mit den Tränen.
»Verstehen Sie jetzt«, fragte Knupp, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte, »weshalb ich noch mal zurückmuss?«
»Was würden Sie anders machen? Früher in die Klinik? Besserer Moskitoschutz?«
»Nach Nepal statt nach Afrika«, antwortete der alte Mann grimmig. Er stand auf, humpelte zum Fenster und sah hinaus.
Taler nutzte die Gelegenheit und stand ebenfalls auf. »Gute Nacht.«
Knupp zog die Vorhänge zu und wandte sich um. »Helfen Sie mir?«
Peter schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
Der Alte ging zum Tisch zurück und setzte sich. »Sie kennen ja den Weg«, sagte er nur.
Taler blickte sich nicht um, als er zu seinem Haus zurückging. Erst als er in seiner dunklen Wohnung stand, sah er vom Blumenfenster aus hinüber.
Zwischen den beiden Hälften des Wohnzimmervorhangs war ein dünner Streifen Licht zu sehen.
Den ganzen folgenden Tag ging ihm Knupps Plan nicht aus dem Kopf. Er fragte sich, ob der Alte wirklich an seine Theorie glaubte oder ob er nur versuchte, damit seiner Verzweiflung zu entkommen. Vielleicht war ja beides okay.
Aber nicht nur die Gedanken an den alten Knupp lenkten ihn von seiner Arbeit ab. Auch Betty trug ihren Teil dazu bei. Alle paar Minuten kam sie
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