Die Zeit, die Zeit (German Edition)
mit einer Frage, die sie sich eigentlich selbst hätte beantworten können. Sie gehörte zu den Menschen, die es nicht aushielten, in Gegenwart eines anderen nicht zu sprechen.
Auch das war eines der tausend Dinge, die Taler seit Lauras Tod so vermisste: dieses stundenlange schweigende Beisammensein. Keiner von beiden hatte sich verpflichtet gefühlt, zu reden, wenn ihm nicht danach war. Zusammen schweigen können, hatte Laura einmal bemerkt, zeuge von größerer Harmonie, als miteinander zu sprechen.
Betty überbrückte Talers Schweigen mit SMS -Nachrichten und langen Handygesprächen. Zur Mittagspause frischte sie Parfum und Make-up auf und fragte: »Kommst du mit?«
Taler lehnte ab und nutzte ihre Abwesenheit, um ein wenig in der befremdlichen Welt der Zeitzweifler zu surfen.
Den Nachmittag verbrachte er – immer wieder unterbrochen von Betty – mit Kreditorenbuchhaltung. Die Rechnungen, deren Bezahlung er auslöste, betrugen in der Summe über vierhundertachtzigtausend. Es war eine Arbeit, die ihm in all den Jahren, in denen sie zu seinem Pflichtenheft gehörte, immer noch ein gewisses Wohlbehagen bereitete.
Nach Büroschluss fuhr er bei Juanitos vorbei und kaufte eine Auswahl Tapas – Hackfleischbällchen in scharfer Tomatensauce, Tortilla mit chorizo und Sardinen in aioli.
Als er auf seinen Parkplatz einbog, hatte er das Gefühl, er hätte in Knupps Fenster eine Bewegung gesehen. Er leerte den Briefkasten. Der enthielt neben dem üblichen Müll einen braunen Briefumschlag. Noch bevor er die Handschrift sah, wusste er, von wem er war.
Diesmal hielt er sich zurück und öffnete den Umschlag erst in der Wohnung. Er enthielt ein einziges Foto. Gleiches Motiv: Talers Hauseingang. Aber am Straßenrand, dort, wo der Weg zum Eingang begann, war ein Moped aufgebockt. Bei der Haustür stand eine Gestalt. Sie trug einen Helm mit aufklappbarem Visier.
8
Knupp hatte ihn erwartet. Noch bevor Peter Taler geklingelt hatte, öffnete er die Tür und ließ ihn wortlos eintreten. Es roch nach gedämpften Zwiebeln, und aus der Küche drang das Brutzeln einer Pfanne. »Kommen Sie, sonst werden die Zwiebeln schwarz.«
Knupp ging an den Herd und bewegte die Zwiebeln mit einer Bratschaufel. »Setzen Sie sich.« Er deutete auf einen Stuhl am Küchentisch. Auf der braunweiß gesprenkelten Linoleumtischplatte stand eine Teigschüssel mit geriebenen Kartoffeln. Daneben eine benutzte Reibe und ein Unterteller mit Speckwürfeln.
Knupp holte ein Bier aus dem Kühlschrank und reichte es Taler. Doch da dieser keine Anstalten machte, es ihm abzunehmen, stellte er es auf den Tisch.
»Essen Sie mit? Speckrösti.«
»Was wissen Sie über den Mopedfahrer?«
Knupp zuckte mit den Schultern, holte die Speckwürfel vom Tisch und wischte sie vom Teller zu den Zwiebeln.
»Ich kann auch zur Polizei gehen. Vielleicht antworten Sie denen lieber.«
Der Duft nach gebratenem Speck vermischte sich mit dem nach gedünsteten Zwiebeln. »Die Polizei ist der Meinung, dass ich kein verlässlicher Zeuge bin.«
Taler änderte den Ton. »Weshalb haben Sie mir das Foto geschickt, Herr Knupp?«
»Ich dachte, es könnte Sie interessieren.«
»Natürlich tut es das. Vor allem, weil Sie vorgaben, nichts über das Moped zu wissen. Von wann stammt die Aufnahme?«
»Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls lebte Ihre Frau noch.«
»Natürlich wissen Sie es genau. Sie führen Buch über Ihre Fotos.«
»Da müsste ich nachsehen.« Knupp holte die Schüssel mit den geriebenen Kartoffeln vom Küchentisch und schaufelte sie in die Eisenpfanne. Dann begann er, die Kartoffeln mit den Zwiebeln und dem Speck zu mischen.
»Dann sehen Sie nach.« Taler fügte ein schneidendes »Bitte« hinzu.
»Später.« Der Alte fuhr fort, seelenruhig seine Rösti zu mischen.
Taler trank nun doch einen Schluck von seinem Bier.
Er sah Knupp dabei zu, wie er mit der Bratschaufel die Kartoffelmischung zu einem Fladen tätschelte und an seinem Rand etwas beifügte, das er aus zwei Bechern gelöffelt hatte. »Halb Kochbutter, halb Schweineschmalz. Wird am besten.«
Er setzte einen Deckel auf die Bratpfanne, reduzierte die Hitze, nahm das angefangene Bier, das auf dem Fenstersims stand, und setzte sich zu ihm. »Sie brauchen also meine Hilfe«, stellte er fest.
Jetzt begriff Taler. »Sie helfen mir, wenn ich Ihnen helfe. Sehe ich das richtig?«
»Richtig.«
Taler dachte nach. »Einverstanden«, sagte er dann. »Ich helfe, so gut ich kann. Also, was wissen Sie über den
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