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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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glauben Sie nicht? Manchen Leuten hilft es, daran zu glauben.«
    »Früher half es mir auch. Aber tröstlicher als der Glaube an die Unabänderlichkeit des Schicksals ist das Wissen um seine Abänderlichkeit.«
    Talers Themawechsel war etwas boshaft: »Apropos Abänderlichkeit: Angenommen, wir schaffen es, und am elften Oktober ist alles so wie neunzehneinundneunzig. Und dann schifft es so wie jetzt?«
    Knupp zuckte mit den Schultern. »Das wird nicht passieren.« Und fügte hinzu, lauter, als es nötig gewesen wäre, um das Getöse zu übertönen: »Pech haben wir schon genug gehabt. Jetzt ist ein bisschen Glück fällig, verdammt nochmal.«
    Knupp hatte sich geirrt, der Regen war keine Sache von ein paar Minuten. Er ließ zwar ein bisschen nach, aber er entwickelte sich zu einem beharrlichen Landregen.
    »Ich fürchte«, sagte Taler, »wir müssen die Fortsetzung auf das nächste Wochenende verschieben.« Er gab sich Mühe, sich keine Erleichterung anmerken zu lassen.
    Knupp winkte ab. »Sie meinen, auf morgen. Das hier ist keine Wochenendarbeit, die Zeit ist zu knapp. Sie müssen das als volle Freizeitbeschäftigung betrachten. Sie sind ja meistens so um sechs Uhr zu Hause, und die Sonne geht erst kurz vor neun unter.«
    Beim Frühstück hörte er den Schlüssel in der Wohnungstür und kurz darauf Frau Gelpharts »Iiich biin’s!«.
    Es war sieben, eine ungewöhnliche Zeit für seine Putzfrau.
    »Ich habe eine Verabredung um elf, da dachte ich, ich komme etwas früher.« Sie verschwand in der Küche, kam aber kurz darauf zurück und gleich zur Sache. »Es geht mich ja nichts an, aber was messen Sie da mit dem alten Knupp?« Nicht die Verabredung hatte sie so früh hierher geführt, es war die Neugier. Sie wollte Taler noch vor seinem Aufbruch ins Büro erwischen.
    »Er hat mich gebeten, ihm zu helfen, den Garten umzugestalten.«
    »Haben Sie ihn gefragt, weshalb er ihn umgestalten will?«
    »Nein. Aber es hat mich beeindruckt, dass sich einer in seinem Alter noch an so langfristige Unternehmungen herantraut. Die meisten alten Leute resignieren.«
    »Oder werden verrückt.«
    »Ich glaube nicht, dass er verrückt ist. Er ist einfach ein wenig einsam.«
    »Und da haben Sie gedacht, weil Sie auch ein wenig einsam sind…«
    »Vielleicht.«
    »Seien Sie nicht zu oft um ihn herum. Sonst werden Sie auch noch seltsam.«
    Taler antwortete nicht. Er trank seinen Kaffee aus und wischte sich mit einer entschlossenen Geste den Mund ab, was bedeutete, dass für ihn das Thema erledigt war.
    »Sie sind es jetzt schon ein wenig.«
    »Seltsam?«
    »Jeden Abend zu Hause, alles genau so lassen wie früher. Passen Sie auf. Sie haben das meiste noch vor sich. Sie sind ein junger Mann.«
    »Ich bin zweiundvierzig.«
    »Eben.«
    Taler räumte das Geschirr zusammen und brachte es in die Küche. Frau Gelphart folgte ihm.
    »Um den Garten umzugestalten, braucht es doch nicht die Vermessungspunkte des Stadtgeometers.«
    Taler nahm sein Jackett von der Garderobe.
    »Knupp will den Garten nicht umgestalten. Er will ihn wiederherstellen, sagt mein Mann. Millimetergenau so, wie er war, als sie noch lebte. So einer ist doch nicht ganz normal?«
    Aus einer Eingebung, die ihm später noch nützlich sein sollte, antwortete Taler: »Er arbeitet an einem Projekt. Eine Art wissenschaftliche Studie über die Zeit und die Veränderung. Daraus wird dann später mal ein Film.«
    Sie war überrascht. »Ein Film? In seinem Alter?«
    »Ist doch bewundernswert.« Peter Taler zog sein Jackett an und verabschiedete sich.
    Es regnete nicht mehr, aber die Luft war kühl und der Himmel grau.
    Am Abend begegnete er zum ersten Mal Sophie Schalbert.
    Taler suchte nach einem Markstein im Nachbargarten, einem großen Grundstück. Bevor in den fünfziger Jahren mehrere der Einfamilienhäuser darauf erbaut wurden, war es noch weitaus größer gewesen. Ein herrschaftliches Haus stand in dem parkähnlichen Garten, die Villa Latium.
    Er kniete in der nassen Erde neben dem Komposthaufen. Zuoberst verrotteten Kohlblätter, Salatabfälle, Apfelschalen und verblühte Tulpen, und es roch nach Fäulnis und Verwesung. Er stocherte mit einem Erdschäufelchen zwischen den Brennnesseln herum.
    Knupp stand jenseits des Zauns und gab Anweisungen. »Er muss dort irgendwo sein, ich habe auf dem Grundbuchplan nachgesehen.« Er sprach nur halblaut, obwohl er behauptet hatte, um diese Zeit sei dort niemand zu Hause.
    An den Knien war die Nässe bereits durch Talers Hose gedrungen, und an

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