Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
Vom Netzwerk:
stand. Sie hatten zwar kaum über diese Dinge gesprochen, aber ihm war klar, dass in ihrem Weltbild eine höhere Macht so selbstverständlich ihren Platz hatte, dass eine nähere Definition gar nicht erforderlich war. Aber statt Knupp zu widersprechen, fragte er: »Haben Sie je mit Laura über Ihr Experiment gesprochen?«
    »Nein«, antwortete Knupp bedächtig. »Jedenfalls nicht explizit.«
    »Wie dann?«
    Knupp druckste ein wenig herum, bis er damit herausrückte: »Sie hat mich nach Literatur zu dem Thema gefragt, und ich habe ihr etwas genannt. Es gibt leider nicht viel. Und was es gibt, ist vergriffen.«
    »Kerbeler.«
    Knupp war erstaunt. »Sie kennen Kerbeler?«
    »Laura hat das Buch antiquarisch bestellt. Es ist erst vor ein paar Tagen angekommen.«
    »Haben Sie es gelesen?«
    »Ein wenig.«
    »Dann ist Ihnen bestimmt das Buttonpond-Experiment bekannt vorgekommen.«
    »Allerdings.« Taler verzog das Gesicht.
    »Sie zweifeln daran?«
    »Weshalb hat es nicht mehr Aufsehen erregt? Es hätte doch eine wissenschaftliche Weltsensation sein müssen. Es stellt alles auf den Kopf.«
    »Eben deshalb. Weil es alles auf den Kopf stellt. Niemand will, dass alles auf den Kopf gestellt wird, schon gar nicht die Wissenschaft. Galilei wurde gezwungen, zu dementieren, dass sich die Erde um die Sonne dreht.«
    Taler nippte an seinem Schnaps.
    »Die Wissenschaft hat Kerbeler und Meltstone so gründlich vernichtet, dass von den beiden nichts mehr übriggeblieben ist.«
    Knupp machte eine Kunstpause. Dann sagte er: »Dass ein Antiquariat über ein Jahr braucht, um das Buch aufzutreiben, ist für mich der schlagende Beweis, dass das Experiment nicht gefälscht ist.«
    Taler lächelte traurig. »Ein halbes, sagt die Ladenbesitzerin. Kurz vor Weihnachten hätte sie es bestellt.«
    »Da war Ihre Frau doch längst tot.«
    »Sie war sich ganz sicher.«
    »Haben Sie sie gefragt, weshalb sie so sicher ist?«
    »Nein.«
    »Das sollten Sie tun.« Knupp schenkte sich den Rest Gravensteiner ein. »Vielleicht entschließen Sie sich dann doch noch, an das Buttonpond-Experiment zu glauben.«

11
     
    Sein früherer Bürokollege hatte nach trockenem Schweiß gerochen. Taler hatte es in der ganzen Zeit, in der er mit ihm den Raum teilte, nicht geschafft, es ihm zu sagen. Laura hatte gesagt: »Stell dir einfach vor, er riecht nach Kreuzkümmel.« Und tatsächlich: Der Duft von Kreuzkümmel hatte viel gemeinsam mit dem Geruch von Schweiß. Aber geholfen hatte ihm die Erkenntnis nicht. Statt die Ausdünstung seines Kollegen erträglicher zu machen, hatte sie in Taler eine Aversion gegen Currys geweckt.
    Seine neue Bürokollegin, Betty Zehnder, roch jeden Tag anders. In ihrem Schrank bewahrte sie eine ganze Sammlung Parfummüsterchen auf, von denen sie jeden Tag ein anderes ausprobierte. Wenn sie in die Mittagspause ging oder zu Perlucci oder Gerber bestellt wurde, frischte sie es auf.
    An diesem Tag hing ein betäubend penetranter Duft in der Luft. Er schnupperte, und sie bemerkte es. »Poison«, erklärte sie, »von Dior.«
    Taler wusste nicht, was er schlimmer fand: trockenen Schweiß oder Poison.
    Betty hatte noch eine Eigenart, die sehr gewöhnungsbedürftig war: Sie telefonierte ihm vor.
    Sie führte ihre Telefongespräche nicht mit ihren Gesprächspartnern, sondern für ihn als Publikum. Die geschäftlichen und die privaten. Besonders die privaten. Sie sagte Sätze wie: »Nasenkorrektur? Wo doch ihre Nase noch das Beste ist.« Dabei sah sie zu ihm herüber, und wenn sie ihn dabei überraschte, dass er es mitbekam, zwinkerte sie ihm zu.
    Auch vertrauliche Gespräche – sie führte ständig vertrauliche Gespräche – waren für ihn bestimmt. Sie sprach zwar so leise in das mit der Hand abgeschirmte Handy, dass er kein Wort verstehen konnte, aber sie tat es so herausfordernd, dass er sich immer wieder dabei ertappte, wie er sich anstrengte, etwas zu verstehen. Obwohl ihm ihre Geheimnisse weiß Gott egal waren.
    Betty hatte einen Freund, einen »Lover«, wie sie ihn nannte. Taler hatte ihn gesehen, als er sie in einem Mustang vor der Firma abholte. Ein mittelgroßer Mann in engem Anzug und mit einer tätowierten Schlange, die ihm aus dem Kragen über den muskulösen Hals bis knapp unter das Kiefergelenk kroch. Betty hatte ihn genötigt, auszusteigen, damit sie ihm Taler vorstellen konnte. Er war fast einen Kopf kleiner als Taler, hatte einen Händedruck wie ein Schraubstock und hieß Enzo. »Wenn du mal ein besonderes Auto brauchst, Peter«,

Weitere Kostenlose Bücher