Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Händen.«
Betty hatte während des ganzen Gesprächs geschwiegen wie ein Kind, wenn die Erwachsenen reden. Jetzt aber fragte sie in die Stille hinein: »Ich habe immer noch nicht verstanden, weshalb genau diese und keine anderen Autos.«
»Für einen Film. Er spielt neunzehnhunderteinundneunzig und soll ganz authentisch sein.«
»Aber ob das nun dieses oder ein anderes Auto aus der Zeit ist. Den Unterschied merkt doch kein Schwein.«
»Es wird eine Mischung aus Dokumentarfilm und Fiktion. Das muss nahtlos ineinander übergehen.«
»Schon. Aber die Farbe der Autos…«
»Es gibt solche Perfektionisten in der Filmbranche. Bei Visconti mussten sogar die uniformierten Lakaien original Unterwäsche aus der Zeit tragen. Er fand, nur so würden sie sich richtig bewegen.«
Auch das hatte Taler bei seiner Suche nach einer plausiblen Begründung ausfindig gemacht. Es wirkte und weckte sogar Bettys Interesse an ihrem Bürokollegen.
»Was hast du mit Film zu tun?«
»Ein Hobby. Ich kenne ein paar Leute aus der Filmszene und helfe ab und zu ein bisschen aus.«
Als er nach Arbeitsschluss bei Knupp eintraf, empfing ihn dieser mit der guten Nachricht, dass er die Farben der drei Autos ausfindig gemacht habe.
»Raubsteins leben beide noch. Der Peugeot war rot. Die Tochter von Sennberger, die jetzt Felinger heißt, habe ich auch gefunden. Der Volvo war senfgelb. Ihr Bruder hat ihn, als er den Führerschein besaß, noch jahrelang gefahren. Sie erinnert sich auch an Santos Sportwagen. Blau war er. Ein leuchtendes Blau, wie sie sagt.« Nach einer kurzen Pause fügte er mit veränderter Stimme hinzu: »Und an Martha hat sie sich auch erinnert. An ihre Nidelzältli. Die selbstgemachten Karamellbonbons, die sie immer für die Kinder bereithielt.«
»Und ich habe jemanden gefunden, der die Autos beschaffen kann.«
Knupps Miene hellte sich wieder auf. »Ehrlich?«
»Zwanzigtausend zum Abschreiben. Oder dreißigtausend als Risikokapital. Können Sie so viel auftreiben?«
»Irgendwie schon«, antwortete Knupp und wechselte das Thema. »Am Samstag bringt Wertinger die erste Lieferung. Falls es nicht regnet.«
Aber in der Nacht auf Samstag fing es an zu regnen. Peter Taler hatte es sich gerade auf seinem Beobachtungsposten hinter der Dreiundvierzig bequem gemacht. Es war seine dritte Observationsnacht. In der Küche war nur so viel Licht, wie durch die nicht ganz geschlossene Tür aus dem Korridor hereindrang. Bis jetzt hatte er den Mopedfahrer noch nie allein angetroffen. Wohl aber seine Mitbewohner einmal ohne ihn.
Das Beobachten seines Feindes weckte ähnliche Gefühle in ihm wie anfangs seine Mitarbeit bei Knupps hirnverbranntem Plan. Es befreite ihn von der Hilflosigkeit. Es gab ihm etwas in die Hand gegen Lauras Tod.
In der Küche ging gerade das Licht an, als ihn ein Geräusch erschreckte. Es stammte vom gleichzeitigen Aufprall Hunderttausender schwerer Regentropfen auf Dächern und Baumkronen. Nach ein paar Sekunden war er durchnässt und wollte gerade die Flucht ergreifen, als das Küchenfenster aufging und die Silhouette des Mopedfahrers rief: »Scheiße, seht euch an, wie das schifft!«
Seine drei Mitbewohner drängten sich ans Fenster. Sie sahen stumm in die Unterwasserlandschaft hinaus.
Taler wagte nicht, sich zu bewegen. Rasch wurde ihm kalt, und sein ganzer Körper verkrampfte sich beim Versuch, nicht zu zittern.
So plötzlich wie der Platzregen vom Himmel gefallen war, so abrupt hörte er auf. Einer nach dem andern lösten sich die Zuschauer von dem Sims und traten in die Küche zurück, bis nur noch der schmale Blonde übrig war. Er sagte etwas, das Peter Taler nicht verstand. Aber den anderen war es auch so gegangen. »Was?«, rief die Frauenstimme.
»Wenn es so bleibt, wird es nichts mit Montag«, wiederholte der Blonde, so laut, dass alle es verstanden.
»Ich komme sowieso nicht mit«, sagte eine Männerstimme.
Peter Taler war sich fast sicher, dass es die des Mopedfahrers gewesen war.
Der schwere Regen hatte die Gärten aufgeweicht. Die Gärtner verschoben ihre erste Lieferung auf die nächste Woche. »Sobald es zwei Tage nicht geregnet hat«, sagte Wertinger junior. »Die Prognosen sind bis Montag schlecht.«
Damit stand also das Ziel, das Taler all die Monate am Leben gehalten hatte, unmittelbar bevor. Und plötzlich hatte er das Gefühl, noch nicht ganz bereit zu sein. Er hätte den Gegner lieber noch eine Weile beobachtet.
Vielleicht lag seine plötzliche Unentschlossenheit aber auch nur an
Weitere Kostenlose Bücher