Die Zeit, die Zeit (German Edition)
erledigt«, schnauzte er, als Betty den Mund aufmachen wollte.
»Hoppla, hoppla«, sagte sie und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu.
Doch als er sich vor dem Schrankspiegel etwas gekämmt und zurechtgemacht hatte, fragte sie: »Darf ich jetzt etwas sagen?«
»Klar. Entschuldige.«
»Gerber war hier. Hat gefragt, wo du bist.«
»Und? Was hast du geantwortet?«
»Dass ich es nicht weiß.«
»Sehr schlagfertig.«
»Was ist los?«
»Entschuldige. Noch was?«
»Ob das öfter vorkommt, hat er noch gefragt. Nie, habe ich geantwortet.«
»Will er dich jetzt zum Spitzel machen, das Arschloch?« Taler griff zum Hörer. Wie immer ließ Gerber es eine Weile klingeln, bevor er antwortete. Der Anrufer sollte merken, wie schwer er sich von seinem Arbeitspensum trennen konnte. »Grbr«, knurrte er.
»Du hast mich gesucht? Ich habe verpennt. Etwas Dringendes?«
Gerber antwortete beschwichtigend. »Nein, nein. Ich war einfach etwas besorgt. Wollte wissen, ob Frau Zehnder was weiß. Alles im grünen Bereich?«
»Es geht.«
»Stimmt etwas nicht?« Vielleicht war Gerber wirklich besorgt.
»Ja. Meine Frau ist erschossen worden.« Er legte auf. Und schämte sich für die billige Antwort.
Er nahm sich den Stapel Rechnungen vor, der neben dem Bildschirm lag. Aber es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren.
Frau Gelpharts Mann hatte den Mopedfahrer »den von der Dreiundvierzig« genannt. Er war also identifiziert. Aber die eigentliche Erschütterung war, dass der Hauswart ihn zwei-, dreimal hatte kommen oder gehen sehen. Es hatte sich nicht um einen Seitensprung gehandelt. Laura hatte ein Verhältnis gehabt. Und zwar ein so leidenschaftliches, dass dessen Beendigung sie vielleicht das Leben gekostet hatte.
Diese Erkenntnis stellte alles in Frage. Wenn er jetzt an seine Frau dachte, dann war es eine andere Laura. Ein Teil von ihr war ihm fremd geworden. Sie besaß eine Seite, die er nicht kannte. Dass sie ein Stück Leben ohne ihn geführt hatte, war nichts Besonderes, das hatte er ja auch getan. Aber dass es eines gab, das sie gegen ihn führte – er wusste nicht, wie er das verkraften sollte.
»Alles okay?«
Er hatte nicht bemerkt, dass Betty zu ihm an den Schreibtisch gekommen war. »Jaja. Nur ein bisschen…«
»Übermüdet?«
»Ja. Übermüdet. Kurze Nacht.«
»Enzo holt mich gleich ab zum Mittagessen. Komm doch mit.«
»Danke. Lieb von dir. Aber ich muss ein paar Einkäufe machen. Nichts mehr im Haus. Grüß ihn von mir.«
Bei der Erwähnung von Enzo kamen ihm die Autos in den Sinn, und er fügte hinzu: »Aber vielleicht kann er mir bei etwas helfen.«
Taler holte die alten Fotos aus seiner Mappe, auf denen der Parkplatz mit den drei Autos zu sehen war. »Vielleicht weiß er, was das für Modelle sind.«
Betty sah sich die Autos an. »Volvo 940 Kombi, Peugeot 205. Beim Zweisitzer bin ich mir nicht sicher. Aber für Enzo kein Problem.«
Dass Taler ein paar Einkäufe machen musste, war nicht gelogen. Aber es waren keine Lebensmittel, die er brauchte. Er ging in ein Warenhaus und besorgte sich eine kleine, starke Taschenlampe. Und danach investierte er in einem Fotofachgeschäft über vierhundert Franken in ein Fernglas.
15
An den Wänden von Knupps Arbeitszimmer gab es keine freie Stelle mehr. Sie hatten die Porträts von Martha, die künstlerischen Schwarzweißfotos, die Schützentrophäen und den übrigen Wandschmuck abgehängt – nicht ohne vorher genau dokumentiert zu haben, wo alles am Tag X wieder hängen musste – und ersetzt durch Fotos von Pflanzen und Gegenständen, Standortskizzen, Konturen und Notizen. Das gleiche Bild bot sich im Vermessungszimmer im ersten Stock.
Die erste Pflanzenlieferung der Gärtnerei Wertinger stand kurz bevor. Der Junior hatte zwölf der gesuchten Pflanzen gefunden, fotografiert und per Mail an Taler geschickt. Und dieser übermittelte ihm seinerseits laufend die neu vermessenen Exemplare.
Peter Taler saß vor dem Bildschirm und passte lustlos einen Holzapfelbaum aus dem Nachbargarten ein. Vor einundzwanzig Jahren war er ein hübsches Bäumchen gewesen, aber der Schatten eines viel schneller gewachsenen Ligusters hatte ihn klein und deformiert werden lassen.
Knupp saß am Schreibtisch und hielt den Hörer seines altmodischen Tischtelefons ans Ohr. »Ja? Frau Sennberger? Knupp. Ich suche frühere Nachbarn. Haben Sie neunzehneinundneunzig am Gustav-Rautner-Weg gewohnt?«
Seit Peters Ankunft ging das so. Knupp hatte sich von der Auskunft die Telefonnummern
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