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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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seiner Verfassung an diesem Tag. Das Schlafdefizit und das Ausharren in durchnässten Kleidern hatten ihren Tribut gefordert: Er hatte Fieber, Kopfschmerzen und Schnupfen. Er fühlte sich schwach und weinerlich, wie immer, wenn er krank war. Laura hatte sich oft darüber lustig gemacht.
    »Sie gehören ins Bett«, sagte Knupp. Er hatte eine Zeitlang mit angesehen, wie Taler hustend und schneuzend am Computer saß und immer wieder geistesabwesend am Bildschirm vorbei ins Nichts starrte.
    »Vielleicht haben Sie recht«, antwortete Taler, »ich versuche, morgen wiederzukommen.«
    Er ging hinaus in den grauen Nieselregen. Auf dem Plattenweg hatten sich Pfützen gesammelt, die verrosteten Spielgeräte im Nachbargarten glänzten nass, vor einem messtechnisch noch nicht ganz erfassten Strauch beim Zaun stand ein verlassener Fluchtstab.
    Taler öffnete das Gartentor und trat auf die Straße. Er war zu tief in Gedanken, um auf das warnende Klingeln eines Fahrrads zu reagieren.
    Es schlingerte zentimeternah an Peter Taler vorbei. »Arschloch!«, schrie der Fahrer. Und als er sein Gefährt wieder unter Kontrolle hatte, zeigte er ihm den Finger.
    Der Mopedfahrer auf dem Rad!
    Taler ging über die Straße, an den geparkten Autos und den Briefkästen vorbei zum Hauseingang. Als er die Wohnung betrat, war seine Unentschlossenheit von vorhin verflogen. Er nahm ein Aspirin, machte sich einen Tee und legte sich ins Bett.
    Der Tee war längst kalt, als ihn das Klingeln aus dem Schlaf riss. Taler sprang reflexartig aus dem Bett. Aber als er ganz zu sich gekommen war, legte er sich wieder hin. Er war nicht zu Hause.
    Kurz darauf klingelte es erneut, Peter ignorierte es wie zuvor. Beim dritten Mal blieb der ungebetene Besucher so lange auf der Klingel, bis Taler zur Gegensprechanlage ging und »Was ist eigentlich los!« ins Mikrofon schrie.
    »Ich bin’s, Albert Knupp.«
    Taler drückte auf, ließ die Tür einen Spalt offen und ging zurück ins Bett. Kurz darauf schaute Knupp zum Zimmer herein. Er war etwas außer Atem.
    »Alles in Ordnung? Ich habe mir Sorgen gemacht, als Sie nicht geantwortet haben.«
    »Alles in Ordnung, außer, dass Sie mich geweckt haben.«
    »Verzeihen Sie. Ich habe Ihnen etwas zu essen gemacht.« Er verschwand. Taler hörte ihn in der Küche hantieren. Nach einer Weile kam er hereingehumpelt. Er trug das Tablett, das Taler benutzte, wenn er für sich allein das Abendessen im Wohnzimmer auftischte.
    Er richtete sich auf. Knupp hatte ihm seine Speckrösti gemacht. Sie war gekrönt von drei Spiegeleiern, deren Dotter schon etwas gestockt war vom Weg hierher.
    »Nicht gerade Spitalkost, aber Sie müssen rasch zu Kräften kommen, ich brauche Sie.«
    Taler hatte keinen Appetit, schon gar nicht auf Speckrösti. Aber er aß artig. Er war ein wenig gerührt. Seit Lauras Tod hatte ihm niemand mehr das Essen ans Bett gebracht. »Setzen Sie sich doch«, sagte er zwischen zwei Bissen.
    Knupp nahm Talers Kleider vom einzigen Stuhl im Raum und legte sie aufs Bett, auf Lauras Seite. Dann setzte er sich und sah Taler beim Essen zu.
    »Wenn ich erkältet war, hat mir Martha immer Speckrösti mit Spiegeleiern gemacht. ›Den Körper täuschen‹, hat sie es genannt. Essen wie ein Gesunder, dann glaubt der Körper, man sei gesund, und benimmt sich entsprechend. – Bei mir hat es immer funktioniert.« Knupp lächelte versonnen. Dann wurde er ernst. »Bei ihr nicht.«
    Es wurde still im Raum, bis auf das gelegentliche Geräusch, das Talers Besteck auf dem Teller machte.
    Plötzlich murmelte Knupp etwas und verließ den Raum. Peter hörte ihn in der Küche hantieren. Er kam mit zwei vollen Weingläsern zurück. »Das gehörte auch zum Täuschungsmanöver des Körpers.« Er hielt dem Patienten ein Glas hin.
    Taler hatte nichts dagegen.
    »Sollten wir uns nicht schon längst duzen?«, fragte Knupp.
    Taler hatte es tatsächlich manchmal seltsam gefunden, dass sie so viel Zeit miteinander verbrachten und sich siezten. Aber jetzt wusste er nicht, ob er sich noch umgewöhnen konnte. Für die paar Tage, die ihm blieben.
    »Albert«, sagte Knupp und hob das Glas.
    »Peter.«
    Sie tranken sich zu. Es entstand ein verlegenes Schweigen, wie oft nach diesem Zeremoniell.
    Peter aß den Teller leer, Albert sah ihm dabei zu.
    »Du glaubst nicht daran.«
    Taler hob die Schultern.
    »Du brauchst nicht daran zu glauben. Es genügt, wenn du mitmachst. Nach dem elften Oktober entscheidest du, ob du daran glaubst oder nicht.«
    »Genau daran glaube ich ja

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