Die Zeit, die Zeit (German Edition)
und Taler lange herumgerätselt hatten. »Das ist der Schornstein von Regulas Lok. Ihr Großvater hatte sie ihr gemacht, der Vater meiner Frau.«
»Existiert sie noch?«
Scholter sah seine Frau fragend an. »Wir hatten sie meiner Schwester geschenkt, ihre Kinder sind jünger. Weshalb?«
Taler erklärte den Grund seines Besuchs, beschrieb das Filmprojekt und wies eindringlich darauf hin, wie wichtig es sei, dass jener Tag originalgetreu nachgestellt werde.
Am Ende seines engagierten Plädoyers sahen sich die beiden an, als wollten sie die Meinung des anderen erraten, bevor sie ihre eigene preisgaben.
Es war schließlich Frau Scholter, die antwortete: »Sie müssen verstehen, wir hängen an diesen Pflanzen. Sie sind ein Stück unseres Lebens. Sie sind mit unseren Kindern groß geworden und mit uns alt.«
Ihr Mann zögerte erst, dann pflichtete er ihr bei: »Man kann sie nicht ersetzen, man kann sie nicht verjüngen. So wenig wie uns selbst.«
Taler ließ nicht locker. »Ich stelle mir das schön vor: alles wie vor einundzwanzig Jahren, der Garten, der Spielplatz. Eine kleine Reise in die Vergangenheit.«
Wieder antwortete die Frau zuerst: »Eine traurige Reise. Der Spielplatz ohne Kinder. Und wir als alte Leute in der Kulisse unserer besten Jahre. Nein, das stelle ich mir schrecklich vor.«
Ihr Mann ergänzte: »Wir sind Leute, die gerne helfen. Aber Sie müssen wissen: Albert – Albert Knupp – ist nicht gerade ein Freund. Wir waren einmal befreundet, als Martha noch lebte. Aber nach ihrem Tod hat er sich verändert. Zuerst haben wir ihm das nachgesehen. Wenn man seine Frau so plötzlich verliert… Aber wem sage ich das.«
Und seine Frau fügte hinzu: »Er ist ein böser alter Mann geworden, der allen zuleide lebt. Wir schulden ihm keinen Gefallen. Eher er uns.«
Peter Taler griff zu seinem letzten Argument: »Darüber ist er sich im Klaren. Deswegen ist er auch bereit, sich für Ihr eventuelles Entgegenkommen großzügig zu revanchieren.«
Das Paar schwieg. Ganz offensichtlich warteten sie auf eine Zahl.
»Zwanzigtausend«, sagte Taler schließlich.
Wieder sahen sich Herr und Frau Scholter an. Und wieder war sie es, die die Antwort übernahm: »Dreißig.«
19
Man konnte mit der Hebebühne weder durch Knupps Garten noch durch das Grundstück der Villa Latium bis zur Birke vordringen. Wertingers Leute waren gezwungen, mit Leitern zu arbeiten. Es sah halsbrecherisch aus, wie der junge Slowene, der auf solche Arbeiten spezialisiert war, auf den obersten Sprossen balancierte und mit der Motorsäge Ast um Ast kappte. Jedes Mal, wenn die Säge verstummte, fiel ihr Opfer mit einem hässlichen Krachen herunter.
Wenn ein Stück Stamm entastet war, sicherte es der junge Mann mit einem Seil. Erst dann sägte er es durch und seilte es ab zu den Helfern, die unten im Sägemehl standen.
Es dauerte keine Stunde, bis von der Birke nur noch ein Strunk übrig blieb und die Gärtner sich daranmachten, mit Pickeln, Harken und Schaufeln auch diesen mitsamt den Wurzeln auszugraben.
Sophie Schalbert sah dem Frevel mit verschränkten Armen und zusammengepressten Lippen aus der Ferne zu. Taler wusste nicht, wie und bei welcher Gelegenheit Knupp ihr Einverständnis eingeholt hatte. Eines Tages hatte er einfach gesagt: »Sophie ist einverstanden, Wertinger kann die Birke bringen.« Taler hatte keine Fragen gestellt.
Auch die kleinere Birke war ein stattlicher Baum, ihr Wipfel reichte bis unter die Fenster im ersten Stock. Aber die Veränderung war dennoch überwältigend. Der schattige Hintergarten bekam wieder Sonne ab, und die auf den alten Fotos dokumentierte Bepflanzung für halbschattige Standorte wurde wieder möglich. Auch die oberen Räume auf der Nordseite, Marthas gehäkeltes und geklöppeltes Refugium, das Bad und das Vermessungszimmer, waren plötzlich lichtdurchflutet und freundlich.
Der Austausch der Birke allein kostete Feldau & Co. über sechstausend Franken.
Das wütende Summen einer zwischen Vorhang und Scheibe gefangenen Biene verstummte, irgendwo im Haus schlug der Wind eine Tür zu.
Die Stimmen der Kinder, die auf der Grünfläche zwischen dem vorderen und hinteren Wohnblock in einem aufblasbaren Pool spielten, drangen zu ihm.
Und von ganz fern das Grollen des ersehnten Gewitters.
Peter lag nackt auf dem Bett und stellte sich vor, Laura läge neben ihm.
Seit der Verdacht sie ihm nicht mehr entfremdete, war sie ihm wieder nah.
Die Mitarbeit der Gärtner und der Filmausstatter ermöglichte
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