Die Zeit, die Zeit (German Edition)
klang trotzig ihre Musik.
Die Gartenarbeiten für Talers Mehrfamilienhaus waren zurückgestellt worden, bis das Gerüst weg war, das in der nächsten Woche aufgebaut würde. Dann erst wollte man die drei immergrünen Büsche am Rand des Plattenwegs und die schmale Rabatte mit Zierpflanzen, die die Fassade vom Rasen trennte, ersetzen.
Auch das war eine der organisatorischen Arbeiten, die Taler hatte erledigen müssen: Er hatte die Bewilligung für diese Veränderungen bei der Hausverwaltung eingeholt. Er war in Begleitung von Ronnie Betrio aufgekreuzt, was dem Vorhaben mehr Bedeutung und Seriosität verlieh. Die zuständige Sachbearbeiterin gab – nach Rücksprache und unter der Bedingung, dass sofort nach den Dreharbeiten der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt würde – grünes Licht.
Die Kosten für das ganze Vorhaben hatten Talers Schätzung längst überstiegen. Er war – ohne die Autos, die er aus der eigenen Tasche bezahlt hatte – von einem Gesamtbetrag von etwa hundertzwanzigtausend Franken ausgegangen. Aber allein Wertinger hatte an Feldau & Co. bereits weitere Rechnungen von über fünfundvierzigtausend ausgestellt. Und Set Factory hatte mit Vorschüssen und Fremdkosten die Konten von Knupp & Widler und der Illulaura GmbH – immerhin über vierundsechzigtausend Franken – so weit geplündert, dass Taler gezwungen gewesen war, das Risiko weiterer Fertigbeton- und Armierungseisenrechnungen einzugehen.
Er machte sich keine Illusionen: Die Sache würde früher oder später auffliegen. Es war ihm egal. Das Einzige, was ihm Sorgen machte, war die Möglichkeit, dass es vor dem elften Oktober geschah.
Das Glück musste ihnen einfach noch vier Wochen lang gewogen bleiben.
Seit ein paar Tagen ging Angela bei Knupp ein und aus. Sie war Filmstudentin und arbeitete bei Set Factory als Praktikantin. Betrio hatte sie als Assistentin von Knupp freigestellt und verrechnete ihre Arbeit zum vollen Stundensatz.
Angela war ein verschlossenes Mädchen, aber noch mehr waren es ihre Piercings, an die sich Knupp nur schwer gewöhnen konnte. Es tue ihm weh, sie anzusehen, hatte er Taler anvertraut.
Doch sie war anstellig und genau. Beides Eigenschaften, die für die anstehenden Arbeiten wichtig waren. Die Phase der Innenrekonstruktion, wie Knupp es nannte, hatte nämlich begonnen. Es ging darum, die Innenräume in den genauen Zustand vom Elften, wie sie den Stichtag nur noch nannten, zurückzuversetzen.
Knupp hatte zwar seit Marthas Tod die Einrichtung kaum verändert, aber die Dinge, die am Elften herumgelegen hatten, mussten wieder an ihrem Platz sein. Er besaß sie alle noch, und die paar, die nicht mehr vorhanden waren, hatte er in den bald zwei Jahren, seit er den Plan gefasst hatte, bei Trödlern und auf Flohmärkten auftreiben können. Jetzt mussten ihre Standorte vermessen werden.
Sie gingen nach der gleichen Methode vor wie bei den Pflanzen und Gegenständen draußen: Die ehemalige Position der Möbel war mit Hilfe der Camera obscura festgelegt worden, jetzt schoben sie die Gegenstände herum, die auf den alten Fotos zu sehen waren, und fotografierten sie so lange, bis sie ein Bild hatten, das mit der alten Aufnahme übereinstimmte.
Das Vermessungszimmer war der Raum, der am meisten Veränderungen erfahren hatte. Anhand der alten Fotos führte Taler Angela in den Umgang mit der Camera obscura ein. Angela stellte sich von Anfang an geschickter an als Taler selbst nach langer Übung.
»Ihr macht keinen Film.« Die Feststellung kam so unerwartet, dass Taler zusammenzuckte.
»Wie meinst du das?«
»Im Film kreiert man Illusionen. Film ist keine exakte Wissenschaft.«
»Hier will man eben Vergangenheit und Gegenwart nahtlos ineinander übergehen lassen.«
»Dabei ist es doch scheißegal, ob dieser Tisch nun drei Zentimeter weiter links oder rechts steht und diese Blumenvase ein wenig weiter vorne oder hinten. Es gibt doch Überblendungen, Tricks, Bildbearbeitung. Es geht um etwas anderes.«
»Um was denn?«
»Ein Experiment.«
Taler stutzte. »Um was für ein Experiment?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schloss ihre schmalen Lippen und zog weiter die Konturen der Bettstatt nach. Doch dann öffnete sie den Mund noch einmal und sagte: »Aber ich habe eine Vermutung.«
An demselben Tag wurde Scholters Rottanne geliefert. Das Ehepaar hatte sich ins Haus verzogen, als der Mann mit der Motorsäge die Schlachtung der stolzen Vorgängerin vornahm. Als Taler und Angela nach der Arbeit in der Dunkelkammer aus
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