Die Zeit, die Zeit (German Edition)
arbeitet beim Film. Beleuchter.«
»Und?«
»Er sagt, er habe noch nie von diesem Film gehört. Spätestens, wenn ein Film so kurz vor Drehbeginn stehe, wisse man das in der Branche. Von diesem Film weiß kein Mensch etwas.« Sie ging zum Putzschrank, verstaute den Lappen, hängte ihre Arbeitsschürze hinein. »Bis Donnerstag«, rief sie ihm zu und war weg.
Set Factorys großer Lieferwagen stand vor Knupps Haus. Betrios Leute waren dabei, alles auszuräumen, was seit neunzehnhunderteinundneunzig neu dazugekommen war. Er sah den Zeichentisch und den Ateliertisch aus dem Vermessungszimmer und ein paar Sachen, die auf dem Dachboden gestanden haben mussten.
Zwei Männer in Overalls waren auf Scholters Grundstück beschäftigt. Einer war dabei, die Graffiti der Hauswand zu übermalen. Der andere schien zu versuchen, mit Farbmustern der ursprünglichen Fassadenfarbe möglichst nahe zu kommen. Es hatte sich herausgestellt, dass die übrige Fassade seit neunzehneinundneunzig nicht renoviert worden war, und man hatte beschlossen, sie nur zu reinigen. Was inzwischen geschehen war.
Frau Scholter sah den Arbeiten zu. Als sie Taler sah, machte sie ihm ein Zeichen, er solle warten, verschwand im Haus und kam kurz darauf wieder heraus. Sie hielt einen Umschlag in der Hand, den sie ihm zum Zaun brachte. »Von Frau Schalbert. Sie hat mich gebeten, das hier Albert zu geben. Aber ich habe ihn weggehen sehen.«
Das Kuvert trug die doppelt unterstrichene Überschrift »Persönlich«. Darunter stand: »Herrn Albert Knupp«. Beides in einer alten Handschrift.
»Es sei sehr wichtig, hat sie mehrmals gesagt.« Dann sah Frau Scholter schweigend zu, wie der Maler das letzte Stück der Graffiti übermalte. Als er die Rolle absetzte und zwei Schritte zurücktrat, sagte sie, mehr zu sich als zu Taler: »Wieder ein Stück Leben weg.«
Er wusste nicht, ob er gehen oder bleiben sollte, und in diese Verlegenheit platzte das Knattern eines Motorrads, das gleich darauf erstarb. »O nein«, sagte Frau Scholter, dann wandte sie sich lächelnd um.
Der Motorradfahrer zog den Helm ab. Es war ihr Sohn, aber er lächelte nicht. Er sah erst die Wand an, dann seine Mutter, setzte den Helm wieder auf, startete die Maschine und fuhr weg.
»Felix!«, hatte Frau Scholter noch gerufen, aber er reagierte nicht. Sie warf Taler einen vorwurfsvollen Blick zu und ging.
Angela arbeitete allein im Vermessungszimmer. Betrios Männer hatten die ursprünglichen Möbel vom Dachboden geholt, der Raum sah bereits wieder aus wie das Gästezimmer, das es einst gewesen war. Sie hatte das Stativ mit Knupps Leica aufgestellt und war dabei, das Bett einzupassen.
»Wo ist Knupp?«
»Zur Kur, hat er gesagt.«
»Was für eine Kur?«
»Verjüngungskur, sagt er.«
Talers Arm ließ noch keine schweren Arbeiten zu, er übernahm die Kamera und überließ Angela das Herumschieben der Möbel. Es war nicht allzu kompliziert, sie an ihren damaligen Standort zu schieben, sie hatten auf dem Linoleumboden und an den Tapeten Spuren hinterlassen, ebenso wie die Bilder und der Spiegel über der Kommode.
Nach einer guten halben Stunde konnten sie zur Feinarbeit übergehen.
Als Erstes bestimmten sie die Winkel der geöffneten Fensterflügel. Taler dirigierte Angela, bis das Bild im Sucher mit dem Schwarzweißfoto übereinstimmte, und machte seine Aufnahmenserie, die er später am Computer einpassen und ausmessen würde. Außer »Links, rechts, vor, zurück und stopp!« wurde kaum gesprochen. Bis Angela sagte: »Er botoxt.«
»Knupp?«
»Man sieht es. Der starre Ausdruck.«
»Ist mir nicht aufgefallen«, log er. »Wollen wir mit der Vase weitermachen?«
Sie stellten die bauchige Vase auf den Tisch, in der auf dem Foto die neun Rosen gestanden hatten, und begannen das Prozedere von vorn.
Aber Angela ließ nicht locker: »Er hat auch sonst Korrekturen machen lassen. Da und da.« Sie deutete auf Mund, Kiefer, Hals und Augen. »Er ist geliftet. Niemand sieht so aus mit zweiundachtzig.«
»Zurück, zurück, noch ein bisschen. Stopp! Zu viel.« Taler hatte nicht vor, sich weiter auf das Thema einzulassen. Aber Angela schon.
»Er will aussehen wie neunzehneinundneunzig. Er bezieht seine Person in die Rekonstruktion mit ein, stimmt’s?«
Peter Taler musste einsehen, dass er nicht um das Gespräch herumkam. Er schaute von der Kamera auf und versuchte es mit einem weiteren Ausweichmanöver. »Es stimmt: Er ist ein wenig exzentrisch. Soll vorkommen in dem Alter.«
»Herr Knupp ist weder
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