Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Wassermusik und bengalischem Feuerwerk lustwandelte, wollte ich mir in diesem Moment besser nicht vorstellen.
Dafür war hier und jetzt kein Platz, obwohl sich Nikola keinen schöneren Ort zum Sterben hätte aussuchen können. Ich folgte Heinlein zu einer Baumgruppe, vor der ein Blumenbeet ausgehoben war. Inmitten der frisch gestochenen Erde lag ein lebloser Körper.
Zuallererst erkannte ich Oberhammer. Die Arme verschränkt, fixierte er stumm die Leiche zu seinen Füßen, die von mehreren EDlern in weißen Schutzoveralls, unter Kollegen auch »Ganzkörperkondom« genannt, und von Pia, der Rechtsmedizinerin und meiner letzten Affäre in dieser Stadt, bearbeitet wurde. Neben ihnen standen der Bischof, unruhig das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagernd, und eine mir unbekannte Frau in einem dunkelblauen Kostüm. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig, das blonde glatte Haar züchtig zu einem Pferdeschwanz gerafft.
Sie blickte zu uns herüber, als wir uns näherten. Der kurze Anflug eines Lächelns, nicht länger als ein Wimpernschlag, genügte, um mir klar zu machen, dass etwas mit ihr nicht stimmte. In ihren Augen erkannte ich einen seltsamen Schleier der Betroffenheit, der sich wie ein Handschuh über ihre Erscheinung stülpte. Was sich dahinter verbarg, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Als Nächster bemerkte uns Oberhammer. Er schien tatsächlich über meine Anwesenheit erstaunt. »Was machen Sie hier, Kilian? Oder haben Sie sich’s anders überlegt?«
Ich erwiderte nichts und verbannte ihn aus meinem Bewusstsein.
»Was soll’s«, murmelte er in seinen Bart und raunzte dann Heinlein an: »Jetzt haben Sie Ihren Fall, Kollege. Ihren ersten eigenen. Mal sehen, was Sie imstande sind zu leisten.«
Auch Heinlein hatte die Taue seiner Aufmerksamkeit zu Oberhammer gekappt. Ohne ein weiteres Wort blickten wir alle nach unten, wo Pia am Torso Untersuchungen vornahm. Die Beine an den Körper herangezogen, lag der Mann seitlich auf der frischen Erde. Eine Hand umklammerte ein Buch, die Bibel, und lag auf seiner Brust. Die andere war zur Faust geballt. Sie war Ziel der Aufmerksamkeit Pias unter den Blitzlichtern und Vermessungsarbeiten der EDler.
Dann erkannte ich den Menschen, dessen Kopf mit einem glatten Schnitt von seinem Hals abgetrennt worden war. Dieser lag mit erloschenen Augen keinen Meter entfernt in der weichen Erde. Es war Nikola.
»Kannst du schon was sagen, Pia?«, fragte Heinlein und brach das beklemmende Schweigen.
»Gleich, Schorsch«, antwortete sie.
Sie hatte mich noch immer nicht bemerkt, was mir nicht unrecht war. Mit einer Szene hatte ich zwar unter den Anwesenden nicht zu rechnen, doch wollte ich sie nicht herausfordern und verhielt mich, was meinem neuen Status als Privatier auch entsprach, ruhig. Ich überließ Heinlein das Ruder.
Pia öffnete die Faust Nikolas ohne große Mühe. Die Totenstarre war zwar schon eingetreten, aber noch nicht fortgeschritten, was meine Überlegungen zum Todeszeitpunkt fütterte. Ich hatte Nikola gegen zwei Uhr in der Nacht verlassen. Jetzt war es 15 Uhr. Der Tod musste demnach nicht lange nach zwei Uhr eingetreten sein.
Pia förderte einen zusammengeknüllten Fetzen Papier zutage, den sie vorsichtig entfaltete und in ein Plastiktütchen steckte.
Erst als sie es Heinlein reichte, bemerkte sie mich. »Was …«
Ich schüttelte stumm den Kopf, und Pia, das musste man ihr trotz aller Eigenarten zugute halten, schaltete schnell und verschob Frage und Antwort auf einen späteren Zeitpunkt.
»›So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge. Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte‹«, las Heinlein vor. »Was soll das bedeuten?«
»Das ist die Genesis, mein Gott!«, entfuhr es dem Bischof, der über diese Unkenntnis der Heiligen Schrift den Kopf schüttelte.
»Um exakt zu sein, Kapitel zwei, Vers eins bis zwei«, präzisierte die Blonde an seiner Seite emotionslos und ohne falsches Pathos.
»Wer sind Sie?«, fragte Heinlein.
»Das ist Signora Yasmina della Schiava«, antwortete der Bischof an ihrer statt, »eine Kollegin für Kirchenund Kunstgeschichte aus Rom. Sie unterstützt uns im Zuge des Fundes am Kilianshaus. Sie haben sie heute Morgen in den Räumen der Denkmalpflege nur knapp verpasst.«
Eine Römerin, schoss es mir durch den Kopf, und eine echte Blonde noch dazu, wie mir ihre makellosen Haaransätze versicherten.
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