Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
erkaltet und nur noch eine stinkende braune Brühe war. Aus dieser Falle gab es kein Entrinnen mehr. Noch bevor ich antwortete, lernte ich, dass kein Ärger so groß sein kann, um nicht von einem noch größeren in den Schatten gestellt zu werden.
Heinleins Handy klingelte. »Ja, was ist denn?!«, fragte er wirsch.
Kurzes, abgehacktes Nicken signalisierte, dass es sich um etwas handeln musste, was nicht alle Tage einen abgebrühten Ermittler wie ihn verstummen ließ. Kurz darauf drückte er das Gespräch ab, ließ das Handy in seine Sakkotasche gleiten und machte sich bereit zu gehen.
»Jemand hat den Pfarrer von Veitshöchheim ermordet«, sagte er trocken.
*
Ich hatte Heinleins Frage noch nicht beantwortet, und sie besaß für den Moment auch keine Bedeutung.
Der Pfarrer von Veitshöchheim war Nikola.
Es hatte mich keine großen Mühen gekostet, Heinlein davon zu überzeugen, mich an den Tatort mitzunehmen, obwohl ich offiziell dort nichts verloren hatte. Es war nicht mein Fall, ich war draußen. Oberhammer hatte Heinlein aus schierer Not und auf Bewährung, wie er ausdrücklich betonte, an meine Stelle gesetzt. Dass dies nicht von Dauer sein würde, daran ließ er keinen Zweifel. Und diesmal würde Oberhammer nicht mehr den gleichen Fehler begehen wie in meinem Fall, blind und ungeprüft eine Personalanforderung aus München zu akzeptieren. Ich musste Heinlein jedoch gestehen, dass ich Nikola von früher her sehr gut kannte und ihn tags zuvor noch getroffen hatte. Somit trat ich nicht ganz freiwillig und nicht ohne Brisanz in den Kreis der anstehenden Ermittlungen. Ich verschwieg die näheren Hintergründe.
Heinlein stellte keine weiteren Fragen. Er wusste so gut wie ich selbst, dass ich mich dadurch hätte belasten können. Stattdessen schien es in seinem Kopf turbulent zuzugehen. Ratloses Kopfschütteln und verständnisloses Seufzen waren unmissverständliche Anzeichen.
Mir drehte sich während der kurzen Fahrt nach Veitshöchheim der Magen auf halb acht, wenn ich nur daran dachte, dass Nikola
tot sein sollte. Er war doch in Begleitung dieses Priesters, redete ich mir ein. Und er hatte ihm vertraut. Nikola war nicht der Typ, brisante Angelegenheiten mit einem Unbekannten zu teilen. Was war geschehen?
Wir fuhren an der Mauer des Rokokogartens entlang. An jedem Zugang war ein Kollege postiert und verwehrte herbeigeeilten Schaulustigen den Zutritt. Heinlein parkte den Wagen an der Dorfkirche St. Vitus. Wir bahnten uns den Weg durch eine beträchtliche Ansammlung verstörter Gemeindemitglieder, die nicht wie sonst eifrig Theorien zum Tathergang konstruierten, sondern geschockt darauf warteten, mit dem Unvorstellbaren konfrontiert zu werden. In nicht wenigen Händen kreiste ein Rosenkranz, und stumme Lippen wiederholten Fürbitten, die sie oft mit Nikola gemeinsam bei Andachten gesprochen hatten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Nikola weit mehr als nur der »Herr Pfarrer« in der Gemeinde gewesen war.
Als wir die Absperrung zum Park hinter uns gebracht hatten, kamen uns blass-stumme Kollegengesichter entgegen, bereit für eine posttraumatische Behandlung bei der Polizeipsychologin. Eine erste Sitzung schien ein Gärtner zu erhalten, der wie betäubt auf einer Parkbank saß, die sonst zur beschaulichen Einkehr auf dem Gelände diente.
Fassungslos stierte er in die Tiefe des Raumes, während ein Kollege seine Hand hielt.
Der Tatort lag im hinteren, durch Hecken und Büsche schwer einsehbaren Teil des Rokokogartens, der gemeinhin als schönster und bekanntester Deutschlands gerühmt wird. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass ich zum letzten Mal hier gewesen war. Trotz des niederschmetternden Anlasses konnte ich mich der bezaubernden Schönheit der Anlage nicht entziehen. Das Lustund Jagdschloss der Würzburger Fürstbischöfe, von Antonio Petrini als Sommerhaus errichtet und rund siebzig Jahre später durch Balthasar Neumann zur heutigen Form vollendet, strahlte barockschwanger den Glanz vergangener Feste aus. Davor ruhten eine unüberschaubare Pracht verschiedener Laubengänge und Alleen, verträumte Pavillons, antike Säulen, ein Irrgarten und schließlich im Mittelpunkt der Anlage ein vierpassförmiger See. Auf einer Insel ragten Apollo, das Dichterross Pegasus und die Musen auf. Um den Teich gruppierten sich Figuren der antiken Mythologie und Allegorien der Künste und Jahreszeiten. Welch einnehmende Stimmung hier geherrscht haben mag, als der Hofstaat in festlichen Kostümen, bei feierlicher
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