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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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hätte sie den Priester vor den Augen der Frau entkleiden müssen. Stattdessen öffnete sie ihm Jackett und Hemd, nahm aus ihrem Koffer ein Skalpell und setzte einen kleinen Schnitt im linken Unterbauch. In die blutlos klaffende Wunde steckte sie das Thermometer und las kurz danach eine Temperatur von 26 Grad Celsius an der Skala ab.
    Dann erhob sie sich und ging an die Fußseite des Opfers, um einen vorläufigen Tathergang auf Basis der bisherigen Informationen nachzustellen.
    »Wie ich die Sache sehe, ist Folgendes passiert: Zwischen ein und drei Uhr heute Nacht hat der Mann hier an dieser Stelle gekniet. Du siehst die beiden Mulden auf der frisch ausgehobenen Erde. Er hatte die Arme mit dem Buch verschränkt vor die Brust gehalten. Dem Fehlen weiterer Verletzungen nach zu schließen, ist ein einziger Hieb mit einer mir noch unbekannten Waffe geführt worden und hat ihm den Kopf abgetrennt. Ich denke, er muss ihn dazu nach vorne gehalten haben, wie bei einer Hinrichtung im Mittelalter. Dadurch war ein ausreichender Widerstand gegeben, um mit einem einzigen schwungvollen Schlag den Kopf vom Hals zu trennen. Der Täter muss links hinter dem knienden Mann gestanden haben, als er den Schlag führte.
    Du siehst an der Abtrennungsstelle im Nacken rechts den glatten Wundrand mit einem schmalen Vertrocknungssaum. Dieser fehlt vorne am Hals. Der Körper kippte dann vornüber und fiel zur Seite um. Sein Herz hat nach der Dekapitation sicherlich noch ein wenig weitergeschlagen und seinen Körper ausgepumpt. Auf der Erde siehst du einen eng eingegrenzten Bereich, wo das Blut versickerte. Blutspritzer in der Umgebung konnte ich nicht ausmachen. Deshalb glaube ich, dass sie auch an der Kleidung des Täters fehlen.«
    »Kannst du mir noch was zum Täter sagen?«, fragte Heinlein.
    »Wie gesagt, zusätzliche Hieboder Stichwunden konnte ich bei erster Begutachtung nicht feststellen. Anzeichen einer vorangegangenen Auseinandersetzung fehlen auch, was mich zur Annahme dreier Hergangsmöglichkeiten führt: Erstens, der Täter hat das Opfer vielleicht beim Beten oder beim Vergraben eines Gegenstandes überrascht. Für den Todeszeitpunkt und den Ort außergewöhnlich, aber wer weiß, was Menschen zu nachtschlafender Zeit alles so umtreibt. Zweitens, Täter und Opfer kannten sich, oder drittens, die Dekapitation ist im wehrlosen Zustand des Opfers erfolgt. Letzteres wird sich erst nach den toxikologischen Untersuchungen erweisen.«
    »Welche Art von Waffe wurde benutzt?«
    »Sie muss über eine ausreichend große Masse verfügen. Ein Säbel oder ein Florett, wie sie im Fechtsport verwendet werden, würde meiner Vermutung nach nicht ausreichen. Eher schon eine Art Schwert oder ein schweres Hackmesser mit langem Griff, wie es von Metzgern benutzt wird. Zweitens, die Waffe muss stabil sein, darf sich nicht biegen wie die Sportwaffen, und drittens, sie muss scharf, sehr scharf sein. Der Wundrand ist nach bisheriger Inaugenscheinnahme glatt, ohne irgendeinen Ausriss, sodass die Schneide ohne Kerbe oder Scharte sein muss. Das Instrument wäre demnach neu oder sehr gepflegt. Aber das sind vorläufige Vermutungen. Mehr nach der Obduktion.«
    »Und was ist mit dem Papier in seiner Hand?«, fragte ich.
    »Kam es nachträglich dorthin?«
    »Gute Frage«, antwortete Pia, ohne vorwurfsvollen Unterton, als wäre ich immer noch Chef des K1 und im Dienst.
    »Die Hand hat den Papierfetzen fest umschlossen und dementsprechend geformt. Eine Platzierung postmortal wäre schwierig umzusetzen, ist aber nicht ausgeschlossen. Nach der offensichtlichen Schweißdurchdringung auf dem Schnipsel tippe ich auf eine Platzierung zu Lebzeiten. Durch wen auch immer.«
    »Wäre nicht auch die Frage interessant, woher das Papier stammt?«, schaltete sich die Signora Yasmina ein.
    »Gute Frage«, wiederholte Heinlein.
    »Sind die EDler fertig?«, fragte ich dazwischen.
    »Ja«, antwortete Pia.
    »Dann lass uns doch mal nachschauen.«
    Ich nahm Handschuhe aus Pias Koffer, streifte sie über und entfernte die Bibel aus Nikolas Hand. Tatsächlich, nach dem Inhaltsverzeichnis und den Erläuterungen zur betreffenden Ausgabe fehlte der »Erschaffung der Welt« von Kapitel 1, Vers 26, bis Kapitel 2, Vers 4, die rechte untere Ecke. Heinlein hielt den Papierfetzen zum Vergleich darüber, und er fügte sich nahtlos in die Abrisskante ein.
    »Und, was sagt Ihnen das jetzt?«, meldete sich der Bischof zu Wort.
    »Willst du?«, fragte ich den ermittelnden Beamten Heinlein vorsorglich.

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