Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
tönendes Irrenhaus. In dieser Stadt gab es eindeutig zu viele Kirchen.
Da heute weder Sonnnoch Feiertag war und ich auch nicht vom Ableben einer »bedeutenden Persönlichkeit« wusste, musste etwas anderes, entscheidend Wichtigeres als der Tod ins Glockenhaus gefahren sein.
Ich verschob die Antwort auf später. Auf dem Weg zum Ofen überprüfte ich, ob der Anrufbeantworter eine Nachricht von Nikola konserviert hatte. Nichts. Nur die Null lachte mir entgegen. Nikola würde sein Wort halten, redete ich mir zu. Auf ihn war Verlass, er hatte mich nie enttäuscht. Ich machte mich über die Kaffeedose her. Noch eine Enttäuschung. Solche Tage bringen nur Ärger. Um jeden weiteren entmutigenden Kontakt mit meinem verbliebenen Inventar zu vermeiden, zwang ich mich unter die Dusche. Nach einer halben Stunde war ich halbwegs wiederhergestellt.
Es muss etwas daran sein, dass man ohne Koffein am Morgen nicht denken kann. Wie sonst lässt es sich erklären, dass ich auf dem Weg ins Lavazza keinen Gedanken an die vergangene Nacht verschwendete; an den Bruch, an Nikola und an diesen seltsamen Priester. Nikola schien absolutes Vertrauen zu ihm zu haben, anders konnte ich mir seine Anwesenheit in dieser Nacht nicht erklären. Doch was für Nikola in Ordnung ging, musste noch lange nicht für mich einen Sinn ergeben. Im Gegenteil, dieser Priester war eine Bedrohung, er war Zeuge zweier von mir begangener Straftaten geworden.
Als ich in die Domstraße einbog, riss es mich aus meiner Lethargie. Die Glocken des Kiliansdoms legten erneut los und tauchten die Welt in ein einziges Chaos aus ewig dauerndem Schmerz. Die Menschen um mich herum erstarrten ebenfalls im alles überdeckenden Donner der Glocken. Gebannt schauten sie auf das Portal des Domes, das, ordentlich in Zweierreihen aufgefädelt, eine beträchtliche Anzahl kirchlicher Würdenträger ausspuckte. Schon auf diese Entfernung erkannte ich die Bischöfe an ihren violetten Soutanen.
»Was ist hier los?«, fragte ich eine Frau neben mir, die die Hände zum Gebet gefaltet hatte und voller Hingabe an ihre Brust drückte.
»Die Bischofskonferenz«, entgegnete sie mir, ohne den Blick von den Bischöfen zu nehmen, die einer nach dem anderen in die aufgereihten Karossen vor dem Domplatz stiegen.
»Welche Bischofskonferenz?«
»Na, die außerordentliche, die in Himmelspforten 3 stattfindet. Alle Bischöfe und sogar der Kardinal sind da. Sehen Sie nur.«
Ein schwarzer Audi zog vorbei. Durch den Spalt des hinteren Fensters grüßte eine bleiche Gestalt die Passanten. Seine Hand versprach Segen. Die Frau winkte begeistert zurück, als wäre Palmsonntag.
»Was ist der Grund für die außergewöhnliche Konferenz der Bischöfe?«, fragte ich.
»Na, wissen Sie denn nicht?«
»Nein, was denn?«
»Der Papst ist tot.«
»Das war doch schon vor über einer Woche. Deshalb jetzt der ganze Aufwand?«
»Es muss doch ein Neuer gewählt werden, und bevor die Kardinäle alle nach Rom reisen, hat der Kardinal«, dieses Wort schien sie zu lieben, es kam ihr über die Lippen als wäre es Honig, »hat der Kardinal Lackmann schnell noch eine Bischofskonferenz einberufen.«
»Und worum soll es dabei gehen?«
»Na, der Lackmann will sie wahrscheinlich auf seinen Kurs einstimmen. Jetzt, wo er Kardinal ist«, wieder dieser ehrfürchtig-bigotte Tonfall, »nach dem ganzen Ärger, den unsere Bischöfe dem Heiligen Vater bisher gemacht haben. Und gerade unserer, der mit seiner Ökumene. Feiert da einfach einen Gottesdienst mit einem Evangelischen und einem Orthodoxen. Schämen sollte der sich.«
Ich legte nach. »Aber das sind doch auch Christen?«
Die Flamme schoss hoch. »Nix Christen! Der Ratzinger, der hat’s ihnen gesagt. Nur die katholische Kirche ist die einzig wahre Kirche. Und er hat’s mit eindeutigen Bibelstellen belegt.
›Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.‹ Das ist doch eindeutig. Und dass der Petrus ein Katholischer war, ist wohl unbestritten. Oder haben Sie schon mal von einem orthodoxen oder evangelischen Petrus gehört?«
Ich erwiderte nichts und ließ sie wortlos stehen. Ich erinnerte mich des letzten Falles von Exorzismus in Deutschland. Er hatte vor knapp dreißig
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