Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Tibernia. Die ehemalige Pestinsel beheimatete vor 2300 Jahren das erste Krankenhaus der Stadt und war dem griechischen Gott der Heilkunst, Äskulap, geweiht.
Bruder Ninian ging am Tiberufer voran. Penner, Betrunkene und Nachtschwärmer, die es sich auf den warmen Steinen bequem gemacht hatten, begrüßten ihn ehrfürchtig. Er antwortete ihnen mit einem Lächeln und dem ungelenk wirkenden Gruß seiner Kralle.
»Du hast eine schwierige und gefährliche Aufgabe übernommen. Es wundert mich, dass Mayfarth dafür einen Weltlichen ausgesucht hat«, beendete er unseren stillen Gang.
»Eigentlich war es Pater Nikola. Ich vermute, dass ihr euch gekannt habt. Er hatte mich ausgesucht, weil ich nicht glaube.«
»An Jesus Christus oder an gar nichts?«
»Es gibt mehr Möglichkeiten als diese. Zum Beispiel glaube ich an den Gott der Freiheit oder an den Gott des guten Geschmacks und der schönen Dinge. Auch die Göttin der Lust und der Hingabe ist mir nicht fremd. Dagegen glaube ich nicht an die Macht, die dein Papst und seine Kardinäle im Namen Jesu ausüben.«
»Ein Hedonist mit rebellischem Geist? Damit bist du Jesus gar nicht so fremd. Auch er hielt nichts von der Enthaltsamkeit am Sabbat, und die Lust an schönen Dingen war ihm wohl auch nicht fremd. Somit ist deine Wahl gerechtfertigt und macht Sinn.«
»Wie kannst du mir nun weiterhelfen?«
»Schwester Yasmina ist vergangene Nacht in Rom eingetroffen. Übernachtet hat sie in ihrem Orden, bevor sie heute Morgen dort abgeholt und in die Villa Sacchetti gebracht wurde. Mir wurde berichtet, dass sie den gesuchten Gegenstand mit sich führte.«
»Was ist in der Villa Sacchetti?«
»Die Zentrale der Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei. Sie ist nicht weit von der Chiesa S. Maria della Pace entfernt, wo der selige Escrivá begraben liegt.«
»Ist sie seitdem wieder aufgetaucht?«
»Meiner Kenntnis nach nicht. Ich vermute, dass sie sich noch immer dort oben befindet.«
»Dann ist der Papyrus verloren.«
»Das muss nicht sein. Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall. Sie halten ihn verschlossen, um ihn bei geeigneter Gelegenheit für ihre Interessen einzusetzen.«
»Was wäre so ein Fall?«
»Nachdem unter Johannes Paul II. das Opus Dei zu dem geworden ist, was es heute ist, halten sie eine Waffe in der Hand, mit der sie auf einen Schlag die ganze Kirche vernichten könnten. Das macht zwar wenig Sinn, weil dann auch ihre Existenzberechtigung dahin wäre, aber was macht man nicht alles mit dem Rücken zur Wand.«
»Wer bedroht sie?«
»Jeder, der an Erneuerung und Wandel interessiert ist. Neue Köpfe, Reformer, Umkehrer, Enttäuschte. Hinzu kommen alle, die ohne Unterstützung des Opus nichts geworden sind und jetzt auf Rache sinnen. Die große Abrechnung hat begonnen. Dagegen müssen sie etwas unternehmen. Da ist ihnen der Papyrus genau zur rechten Zeit gekommen.«
»Welche Rolle spielt Yasmina dabei?«
»Man musste diskret, ohne großes Aufsehen vorgehen, nachdem der Fund in Rom bekannt wurde. Yasmina war dafür genau richtig, zumal sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Deutschland aufgehalten hatte. Eine absolute Nachrichtensperre wurde verhängt. Ansonsten hätten sich alle Seiten auf den Papyrus gestürzt. Ich wette, du hättest dein Würzburg nicht wiedererkannt. Nur ein paar wichtige Entscheider waren die ganze Zeit auf dem
Laufenden.«
»Wer sind diese › Entscheider‹?«
»Kardinal Armbruster und ein paar wenige aus meinem Lager.«
»Dein Lager? Wer sagt mir, dass es das richtige ist und dass nicht auch du den Papyrus für deine Zwecke einsetzen willst?«
»Natürlich will ich das. Ich habe nichts anderes behauptet.«
»Und was hast du damit vor?«
»Endlich aufräumen.«
*
UND WILFRID SPRACH: »ES KOSTET MICH NUR EIN WORT, UND DU BIST DES TODES, DER HERZOG UND SEIN MISSRATENER SOHN WARTEN NUR DARAUF.«
»WAS IST DEIN LOHN, JUDAS? WAS HAT MAN DIR VERSPROCHEN, DASS DU UNSEREN HERRN JESUS CHRISTUS EIN ZWEITES MAL VERKAUFST?«
»DU UND DEIN UNSELIGER COLMAN, IHR SEID KETZER, DIE DEN THRON DES HEILIGEN PETRUS ENTWEIHEN.«
»NICHT WIR SIND ES, SONDERN IHR, DIE IHR DEN PETRUS UND ALLE SEINE VERDAMMTEN NACHFOLGER ÜBER DEN MESSIAS ERHOBEN HABT, IHR WERDET BRENNEN!«
»DU WEISST, WAS GESCHRIEBEN STEHT: DU BIST PETRUS, AUF DIESEM FELSEN WERDE ICH MEINE KIRCHE BAUEN.«
»UND DU HAST GEHÖRT, WAS UNSER HERR IN SEINEN LETZTEN STUNDE WIRKLICH GESAGT HAT: BAUET KEINE TEMPEL, DENN DIE ZEIT IST NAHE.«
»LÜGEN! IHR CULDEISCHEN HUNDE HABT
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