Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
bei der Papstwahl durch ihre Anwesenheit unterstützen wollten. Die Brücken über den Tiber hin zur Via della Conciliazone und dem Vatikan waren hoffnungslos verstopft, und der Rückstau machte jede halbwegs sinnvolle Bewegung mit einem Fahrzeug diesseits des Tiber zu einer lähmenden Schiebepartie. Einzig die wuseligen Vespas wussten den zähen Verkehrsfluss zu nutzen. Wie bluthungrige Stechmücken stießen sie zentimeterknapp in jede freie Lücke, die sich ihnen bot, und stellten somit abermals klar, wer im römischen Straßenverkehr die Nase vorn hatte. In der Startaufstellung, bevor die bedeutungslose Ampel auf Grün schaltete, bildeten sie eine undurchdringliche Phalanx, wie beim Angriff antiker Heere, wenn die Reiter im Vorauskommando auf die gegnerischen Reihen preschten. Erst in ihrer Folge kamen die schweren Streitwagen. So hatte sich am römischen Straßenverkehr seit zweitausend Jahren wenig geändert. Jeder ahnungslose Tourist konnte ein Lied davon singen, wenn er es im tiefen Vertrauen in seine heimischen Verkehrsregeln wagte, die Straße zu überqueren, um unvermittelt von einer feindlich gesinnten Jagdgesellschaft aufs Korn genommen zu werden.
Die Via Villa Sacchetti lag nördlich des großflächigen Areals der Villa Borghese. Ich näherte mich ihr über die Viale Bruno Buozzi und bog in diese kleine, auffällig ruhige Seitenstraße ein. Zu meiner Rechten reihte sich ein Wohnhaus mit kleinem Vorgarten an das andere. Ihnen gegenüber jedoch trotzte eine erdfarbene Wehrburg mit einem lang gezogenen Heckenschild oberhalb einer gesichtslosen Mauer, drei Hausnummern lang. Über den ersten beiden vergitterten Stockwerken gruppierten sich drei Türme, von denen aus man jeden Angreifer leicht in Schach halten konnte. Was dahinter lag, war nicht einzusehen und entsprach offensichtlich dem Geist des Erbauers. Ich ging auf die Eingangstür mit der Nummer 36 zu. Weder ein Namensschild noch ein Zeichen verrieten dem Passanten, wer sich hinter dieser Mauer und der Gegensprechanlage aufhielt. Die Tür bestand aus widerstandsfähigem Material, schweres Holz oder gar Metall. Lediglich eine lateinische Inschrift im Türstock, seltsam inund übereinander gestellt, stellte die Sache klar: Dominus custodiat introitum tuum et exitum tuum 23
Wie Recht der Hausherr damit hatte. Während ich mir ein Zigarillo ansteckte, erblickte ich eine Überwachungskamera über mir, und weitere durften gegenüber installiert sein, um die gesamte Straße im Blick zu haben. Ich ging weiter. Zu meiner Überraschung stieß ich nach ein paar Schritten auf ein ähnliches Gebäude. Nicht verkastelt und begrünt wie das vorangegangene, aber mindestens genauso abweisend. Hinter gefährlich anmutenden Gitterstäben baute sich in teutonisch gewohnter Bauweise einer Kaserne die »Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl« auf. Seltsam, welch enge Bande das vergangene tausendjährige Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit der eigentlichen Machtzentrale des Vatikans auch heute noch knüpfte.
Ich musste feststellen, dass beide Burgen für mich vorerst uneinnehmbar waren. Für die erste hätte man schweres Gerät einsetzen müssen und vor der zweiten hatte ich mich in Acht zu nehmen, da die Fahndung nach mir sicher auch diese Außenstelle erreicht hatte. Also beschloss ich abzuwarten und begab mich wieder an die Ecke zur Viale Bruno Buozzi. Von dort aus hatte ich genügend Schutz vor den Überwachungskameras und einen passablen Fluchtweg, sofern eine Streife auf mich aufmerksam würde. Zudem hatte ich das Tor zur Prälatur des Heiligen Kreuzes und Opus Dei ausreichend im Blick.
Ich wartete nicht lange, bis eine dunkle Limousine an mir vorbeifuhr und vor dem Eingang drei Männer entließ. Jeder von ihnen trug eine Ledertasche unter dem Arm, aus der zusammengerollte Papierbögen und flaschenförmige Behälter hervorschauten, wie ich sie noch aus meinem Chemieunterricht kannte. Der Wagen parkte wenige Meter weiter. Die Männer verschwanden im Schlund der Burg.
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Viele behaupten, der mächtigste Mann der Welt sei der Papst. Mächtiger als die Präsidenten der USA, Chinas und Russlands zusammen. Er ist Oberhirte über eine Milliarde Menschen, die für immense Geldmittel und einen kaum zu überschätzenden politischen wie gesellschaftlichen Einfluss stehen. Ganz zu schweigen vom eigenen Saldo seiner Kirche, den Besitztümern und den vor ihr abhängigen Menschen; egal ob christlich oder nicht. Dazu kommt, dass er ein absoluter Monarch ist, auf
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