Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
rechte Zeit für einen Happen in der Kantine, wie jeden Morgen in den vergangenen Jahren. Doch heute nicht. Heute, morgen und die nächsten Tage konnten sie ihn mal. Sollten sie schauen, wie sie ohne ihn zurechtkämen. Mord und Totschlag hatten Pause.
Er nahm die Einkaufstüte mit dem Armani-Aufdruck vom Rücksitz, stieg aus, setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase und steuerte auf die Cafeteria des Autogrills zu. Die Sonne brutzelte wie ein Spiegelei in der Pfanne am stahlblauen Himmel. Es herrschte müde Betriebsamkeit an den Zapfsäulen. Die Armada der Holländer, Deutschen, Franzosen und Belgier füllte ein letztes Mal auf, bevor sie ihre Container für die nächsten vierzehn Tage unter einem Baum parkten. Auf den Rücksitzen ersehnten derweil apathisch dreinschauende Mütter mit verheulten Kindern die baldige Beendigung der Tortur herbei. Nie wieder, schwor sich Heinlein, nie wieder.
Der Cafetresen war rammelvoll mit Busfahrern, Touristen und verständnislos dreinblickenden Einheimischen. Letztere beobachteten stumm das lautstarke Wetteifern der Reisenden um die Aufmerksamkeit des Personals. Gelassen führten sie die Espressotasse zum Mund und widmeten sich wieder ihrer Zeitung. Heinlein zwängte sich an ihnen und den meterlangen Schlangen vorbei, geradewegs auf die Duschen zu. Für einen Zehner bekam er eine Kabine und ein Handtuch. Alles andere Notwendige hatte er noch am Abend in einer ihm unbekannten Stadt diesseits der Grenze eingekauft. Es hatte ihn ein Vermögen gekostet. Claudia würde ihn dafür lynchen. Aber auch sie hatte jetzt Pause, genau wie alles andere, das er zurückgelassen hatte. Jetzt war er mal an der Reihe, ohne Wenn und Aber.
Nach einer halben Stunde war er wie neu geboren. Sein Spiegelbild schien einem Hochglanzmagazin entrissen und strahlte eine kühle Überlegenheit aus. Der neue Anzug saß wie eigens für ihn entworfen. Er zog den Hemdkragen straff, streifte das nasse Haar nach hinten und platzierte die Sonnenbrille, wohin sie gehörte. Dann verließ er den Raum. Seine alten Klamotten füllten den Abfalleimer.
»Un espresso«, sagte er im Vorbeigehen und stellte sich an einen der Stehtische, inmitten der Italiener. Ein neuer Schwall verschwitzter und übermüdeter Touristen in verknautschten Shorts und lächerlich bunten T-Shirts füllte die Cafeteria. Heinlein beobachtete sie ebenso stumm und emotionslos wie die Männer an seiner Seite.
»Prego, signore«, sagte die Kleine mit dem Espresso in der Hand.
Eine ihm unbekannte Aufmerksamkeit, freudig erregt, wurde ihm zuteil. Ihre dunkelbraunen Augen blickten ihn erwartungsvoll an. Er reichte ihr einen Fünfer und schenkte ihr ein Lächeln.
»Basta così.«
»Grazie«, sagte die Kleine und verabschiedete sich mit einem Blick, der ihm heute Abend um acht am Brunnen versprach. Heinlein wartete, bis das Getränk sich abgekühlt hatte. Währenddessen vermied er jeden Blickkontakt mit den Reisenden, leerte den Espresso in zwei Schlucken und verließ eilends diesen Ort.
Am Parkplatz angekommen, war sein Wagen von einer Gruppe junger Leute umlagert. »Ciao, ragazzi«, sagte er, »come va?«
Ein Druck auf den Schlüssel, und piepsend entriegelten sich die Türen der schwarzen Sonderanfertigung aus Zuffenhausen.
Heinlein stieg ein. Das Verdeck öffnete sich und verschwand wie von Geisterhand gesteuert im Kasten hinter ihm. Dann drehte er den Zündschlüssel, und alle 462 Pferde des Porsche 911 GT2 meldeten sich einsatzbereit für die letzten 200 Kilometer, die er in weniger als eineinhalb Stunden zurückzulegen gedachte. Er stieg aufs Gas, und sechs ungeduldig aufheulende Zylinder katapultierten ihn wieder auf die Autostrada.
Er betätigte den CD-Spieler. »Nun sprechen Sie mir laut nach und geben Sie die passende Antwort: Sei contento della tua vita?« 21
Heinlein wiederholte und antwortete, wie ihm anbefohlen. »Si, sono contento. Anzi contentissimo!« 22
Er stieg aufs Gas. Tatsächlich, wie es ihm sein Kumpel bei der Porsche-Vertretung versprochen hatte, das Geschoss hatte nach vier Sekunden die 100 überschritten und machte sich nun daran, die 200-Marke in gleicher Zeit hinter sich zu bringen.
*
Ninian hatte mich wissen lassen, dass Yasmina das Haus noch nicht verlassen hatte.
In der Stadt war derweil der Teufel los. Neben den hunderttausend Pilgern und Touristen, die um diese Jahreszeit ohnehin das Centro Storico und das Areal um den Petersplatz überschwemmten, kam jetzt nochmal die gleiche Zahl hinzu, die ihren Favoriten
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