Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
der Vereinten Nationen vor. Worin genau ihre Aufgabe lag, ließ sie im Dunkeln.
Das Abendessen verlief, wie ich es mir so lange gewünscht hatte. Es wurde ausgiebig getafelt, getrunken und debattiert. Die Gäste klinkten sich eifrig in die Diskussion ein und erhielten dadurch eine erstklassige Führung durch das soziale Leben Roms, um die sie jeder andere »Experte« beneidet hätte. Nach einer Woche Rom mit Enzo und Ivana konnte man in der Gewissheit nach Hause fahren, Land und Leute tatsächlich kennen gelernt zu haben, anstatt überkommenen Klischees aus Reiseführern nachgelaufen zu sein.
Ich musste ein ums andere Mal Ivana von den Ereignissen in Würzburg erzählen, die ich seit meiner Ankunft dort erlebt hatte. Vom toten Wachmann unter dem Deckenfresko Tiepolos, der vermeintlichen Giovanna Pelligrini, meiner überstürzten Flucht vor Galina aus Genua und vom Sicherheitsgipfel auf der Festung Marienberg und dem tragischen Ende meines alten Freundes Schröder. Aber ich erzählte auch von den neuen Freunden, Heinlein und Pia, die ich dort gewonnen hatte.
Verdammt, Heinlein. Wie ein Schlag ins Gesicht erwischte mich hinterrücks das schlechte Gewissen. Seit ich mich vergangene Nacht durch die abgelegenen Bergstraßen am Brenner gewunden hatte, war auch Heinlein aus meinem Bewusstsein verschwunden. Wie war es ihm nach meiner Flucht ergangen? Welchen Vorwürfen musste er sich meinetwegen stellen?
»Ist dir nicht gut, Kiliano?«, fragte mich Ivana besorgt.
Ich verneinte und begab mich auf den Balkon. Frische Luft zur Rekapitulation der Ereignisse hatte ich dringend nötig. Der Hinterhof war fast komplett mit Platanen und Palmen ausgeschmückt und mit einer Lichterkette in ein beruhigendes Blau getaucht. Selbst auf die Zikaden schien es zu wirken, verträumt zirpten sie ihre Liebeslieder. Über mir ein halb voller Mond, der den Liebespaaren am nahen Tiber die Hände führte.
»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«, hämmerte es immer wieder in meinem Schädel. Und ich sah Heinlein schuldbewusst und hilflos dem sicheren Richterspruch ausgeliefert.
»Ich habe mich nach dieser Signora della Schiava umgehört«, sagte Enzo, der meine Geistesabwesenheit bemerkt hatte. »Es stimmt, sie ist Professorin an der Universität des Vatikans. Pflichtbewusst, bescheiden und verschlossen, soweit meine Quellen berichten. Sie soll einem Orden der Spanischen Schwestern in der Via Barchetta angehören. Ich war dort. Ein geschlossener Konvent, zu dem kein Mann Zutritt hat. Das ist erst mal alles. Morgen kann ich dir vielleicht mehr sagen. Ich hoffe, du kannst was damit anfangen.«
»Grazie, alter Freund«, erwiderte ich. »Ohne dich wäre ich ganz schön aufgeschmissen.«
»Du schaust betrübt aus, Kiliano. Was quält dich sonst noch? Sag’s mir, und ich werd …«
»Beruhige dich, Enzo. Es ist jemand, den ich zurückgelassen habe. Ein Freund.«
»Wie heißt sie?«
»Es ist ein Mann.«
»Um Himmels willen!«
»Nicht, was du denkst. Er ist ein echter Freund. So wie du.«
»Ist es der …«
»Genau der. Er hat alles für mich aufs Spiel gesetzt. Karriere, Familie und seinen guten Ruf. Alles, was er von mir bekommen hat, waren dumme Sprüche und die Aussicht, im Knast zu landen. Ich könnt mich ohrfeigen.«
»Du magst ihn wirklich.«
»Ja, wenn ich’s dir doch sage.«
»Zurück, um ihm zu helfen, kannst du jetzt nicht mehr.«
»Nicht jetzt, aber bald. Ich kann ihn nicht einfach in der Scheiße sitzen lassen. Weißt du, dort, woher ich komme, sind viele Dinge ganz anders als hier. Wenn du was ausgefressen hast und dafür gebüßt hast, hängt dir diese Geschichte ein ganzes Leben nach. Du bist und bleibst der Sträfling. Hier in Italien ist jeder Zweite ein Gauner. Das ist keine große Sache. Normal. Man muss mit dem Leben irgendwie klarkommen. Egal wie. Ich nenne es wie ihr ›die Kunst zu überleben‹. Und dafür schätze ich euch. Aber dort …«
»Was machst du jetzt?«
»Handeln.«
Ich verabschiedete mich und begab mich eilends zu der Adresse, die mir Mayfarth gegeben hatte.
Ich musste nicht weit gehen. Die Chiesa di S. Agata war nur ein paar Häuserecken entfernt. Wie ich erhoffte, waren die Straßen und Gassen um die Piazza di S. Maria in Trastevere mit Nachtschwärmern, Autos und Vespas reichlich gefüllt, während sich auf der anderen Tiberseite, im Centro Storico, die Touristen, Gaukler und Straßenmusikanten an der Piazza Navona ihr allabendliches Stelldichein gaben und sich gegenseitig
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