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Die Zeit-Moleküle

Die Zeit-Moleküle

Titel: Die Zeit-Moleküle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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sein würde. Doch an wen sollte er sich sonst wenden?
    »Das ist ein altes Argument«, sagte der Professor schließlich und legte die Fingerspitzen gegeneinander, »ein Argument, auf das ich keine positive Antwort geben kann. Alles, was Sie sagen, ist wahr. Trotzdem …« Er runzelte die Stirn und verdrehte die Augen nach oben, so komplex war das Rätsel, das er David erläutern wollte. »Trotzdem geht man ein großes Risiko ein, wenn man die Logik einer Disziplin auf eine andere Disziplin überträgt. Nehmen wir zum Beispiel das zweite thermodynamische Gesetz. Dieses wohlbekannte Gesetz, das Prinzip der Entropie, besagt, daß in jedem System eine Ordnung aus den Fugen gerät, wenn sie nicht von etwas aufrechterhalten wird, das von außen auf das System einwirkt. Ein allgemeiner Grundsatz, der offenbar selbstverständlich ist – bis man ihn auf das Leben anwendet und alle lebenden Wesen überhaupt. Dann wird aus diesem Grundsatz barer Unsinn. Auf dem Gebiet der lebendigen Formen sehen wir Strukturen, die seit zahllosen Generationen ihre festen Formen und Funktionen beibehalten haben.«
    Er ließ eine lange Pause verstreichen. Das war seine Trumpfkarte – seine einzige –, und er wollte sichergehen, daß man sie gründlich betrachtete. Draußen im Labor schwirrte und ratterte inzwischen der Bohn-Computer und rechnete für Liza die Mathematikaufgaben eines Jahres in zwei Sekunden aus.
    »Wir machen also die Erfahrung, mein lieber Projektleiter, daß ein unumstößliches Gesetz auf dem einen Gebiet auf einem anderen Gebiet wieder ein vollkommener Unsinn sein kann. Wir wissen eben so wenig … und über die Natur des Chronos wissen wir so gut wie nichts.«
    »So?« David war wütend auf sich selbst, weil er sich an einen Strohhalm geklammert hatte.
    »Mein lieber Freund; wenn Sie meiner Logik nicht gefolgt sind …«
    »Natürlich bin ich ihr gefolgt. Sie haben gesagt, Sie wissen es nicht.«
    »Eine begreifliche Einstellung, finden Sie nicht auch? Auf einem Gebiet der Wissenschaft, die erst seit drei Jahren existiert, ist eine andere Einstellung gar nicht möglich.« Ein geduldiges Lächeln, ein leises, bedauerndes Zucken der schütteren Augenbrauen. »Wir Wissenschaftler werden so oft der Arroganz beschuldigt. Doch da sitzen Sie und beschweren sich, wenn ich ein vollkommen menschliches, bescheidenes Geständnis meiner Ignoranz ablege.«
    Das war natürlich so manipuliert, eine so rhetorische Schaumschlägerei, daß David sich darauf jede Antwort sparte. Er stand auf. Er hätte gar nicht erst fragen sollen.
    »Ein bißchen Wagemut und Sinn für das Abenteuer, Projektleiter. Eine Bereitschaft, das kalkulierte Risiko auf sich zu nehmen – ist denn das wirklich zu viel verlangt?«
    Nein, nein, es war nicht zuviel verlangt. Er hatte wirklich schon gehen sollen, ehe er seine Schwächen bloßgelegt hatte. Vielleicht hatte er früher mal einen Sinn für Abenteuer besessen (nicht auf der Universität – schon früher, als er auf dem Fahrrad seines Bruders den Berg von Leckhampton hinuntergefahren war). Bestimmt besaß er diesen Sinn heute nicht mehr. Und was das kalkulierte Risiko anlangte – würde Liza heute nicht seine Geschlechtspartnerin sein, wenn er ein einzigesmal ein kalkuliertes Risiko eingegangen wäre?
    »Vielen Dank, Professor. Eine heilsame Erinnerung. Ich konnte sie wirklich gebrauchen.« Er ging zur Tür und drehte sich dann noch einmal um. »Ich freue mich schon darauf, das Experiment heute nachmittag als Zeuge miterleben zu dürfen, Professor. Ein historischer Augenblick. Wenn ich vorher keine Gelegenheit mehr habe, Sie noch zu sprechen – viel Glück.« Den Projektleiter kosteten Komplimente nichts. »Und nochmals vielen Dank.«
    Er ging rasch hinaus, den Kopf abgewendet, als er Liza passieren mußte, die Treppe hinunter in die steilen, strengen Schatten der Dorfstraße. Die hochstehende Sonne betonte die festgefügten Formen ihres kleinen Reiches: Jedes Haus, jede Mauer, jeder Pflasterstein besaß Dauer, Gewicht und seinen Raum. Astern blühten in den Gärten und riesige, gelbe Sonnenblumen. Sie versprachen Beständigkeit im Wandel, ein Hochsommer folgte dem anderen. Rauch stieg steil in die stille Luft aus dem Schornstein hinter Josephs Backstube. David fuhr mit der Hand über das weiße Steinkraut, das auf einer Gartenmauer wuchs. Wie lange würde es sich hier noch halten können. Wenn das Dorf von der Regierung aufgelöst wurde oder sich in die Zukunft versetzen ließ – wie lange würde diese

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