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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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das Loch so tief ausgehoben war,
dass der Höhenwinkel stimmte und der Feuerstrahl beim
Abschuss ihn dennoch nicht treffen konnte. Unten im Loch, bedeckt
von ein wenig dürrem Gras und losem Erdreich, das er
über sich verteilt hatte, war er ziemlich gut getarnt. Die
Waffe war von ehrwürdigem Alter, ein Relikt der russischen
Invasion Afghanistans in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts,
aber wohlgepflegt und sauber gehalten war es immer noch eine
tödliche Bedrohung. Wenn der Hubschrauber nahe genug an
seine Stellung herankam, dachte Moallim, dann war ihm der Erfolg
gewiss.
    Moallim war fünfzehn Jahre alt.
    Er war erst vier gewesen, als er die ersten westlichen
Helikopter zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren nachts gekommen,
ein ganzes Rudel, und ganz dicht über seinen Kopf
hinweggeflogen, schwarze Vögel gegen einen schwarzen Himmel,
wie wütende Krähen. Der Lärm hämmerte in den
Ohren, und der Wind, den sie verursachten, zerrte an den Kleidern
und riss an den Haaren. Marktbuden wurden umgeweht, Kühe und
Ziegen ängstigten sich zu Tode, und die Blechdächer hob
es von den Häusern. Und Moallim hatte gehört –
ohne es jedoch selbst gesehen zu haben –, dass einer Frau
das Baby direkt aus den Armen gerissen und in die Luft gewirbelt
wurde, von wo es nie zurückkehrte.
    Und dann hatte die Schießerei begonnen.
    Später waren wiederum Hubschrauber gekommen und hatten
Flugblätter abgeworfen, die den »Zweck« des
Luftangriffs erklärten: In der Gegend hatte sich der
Waffenschmuggel verstärkt, es gab Hinweise darauf, dass
Uranlieferungen über das Dorf abgewickelt wurden, und so
fort. Der dadurch »notwendig gewordene« Luftschlag
sei mit »äußerster Präzision« und
»minimalem Waffeneinsatz« durchgeführt worden.
Die Dorfbewohner hatten die Flugblätter zerrissen und zum
Hinternabwischen verwendet. Alle hassten die Helikopter; sie
waren unnahbar und arrogant. Doch damals, mit vier Jahren, hatte
Moallim kein Wort, um zu beschreiben, was er fühlte.
    Und sie kamen nach wie vor, die Hubschrauber. In letzter Zeit
jene der UNO, angeblich hergebracht, um den Frieden zu sichern,
aber alle wussten, dass es nicht ihr Frieden war und dass
diese »Inspektionsflüge« schwer bewaffnet
stattfanden.
    Für diese Probleme gab es eine einzige Lösung, hatte
man Moallim erklärt. Die Dorfältesten hatten Moallim
den Umgang mit dem Raketenwerfer beigebracht. Es war immer
schwer, ein bewegtes Ziel zu treffen, also hatte man den
Aufschlagzünder durch einen Zeitzünder ersetzt, der
irgendwo in der Luft explodieren würde: So lange man auch
nur halbwegs in die Nähe des Zieles feuerte, reichte das;
man benötigte keinen direkten Treffer, um ein Flugzeug
abzuschießen – und einen Hubschrauber erst recht, und
ganz besonders dann, wenn man auf den Heckrotor zielte, wo er am
verwundbarsten war.
    Doch Raketenwerfer waren groß und unhandlich und
auffällig. Sie waren umständlich zu handhaben, und ihr
Gewicht erschwerte das Zielen – und wenn man sich mit einem
von ihnen auf dem Dach oder im Freien zeigte, war man erledigt.
Also verkroch man sich und wartete ab, bis der Hubschrauber an
einen herankam. Und wenn er in seine, Moallims, Richtung flog,
würde die Besatzung – die darauf trainiert war, wegen
des Risikos Gebäuden aus dem Weg zu gehen – nichts als
ein Stück Rohr sehen, das in der Erde steckte. Vermutlich
würde sie annehmen, es handle sich um ein kaputtes
Wasserrohr von einem der vielen fehlgeschlagenen
»humanitären« Projekte, die der Gegend über
die Jahrzehnte hinweg aufgedrängt worden waren. Wenn sie
über offenes Terrain flogen, würden sie sich in
Sicherheit wiegen. Moallim lächelte.
     
    Der Himmel vor ihnen kam Bisesa sonderbar vor. Dicke, schwarze
Wolken stiegen aus dem Nichts auf und verdichteten sich zu einem
dunklen Band am Horizont, wo es die Berge verdeckte. Und der
Himmel selbst sah irgendwie farblos aus.
    Verstohlen holte sie ihr Telefon aus einer Tasche ihrer
Fliegerjacke. Sie legte es auf die Handfläche und
flüsterte ihm zu: »Ich erinnere mich nicht, dass der
Wetterdienst Sturmfronten vorausgesagt hat.«
    »Ich auch nicht«, sagte das Telefon. Es war auf
das zivile Rundhinknetz eingestellt, und nun begann der kleine
Bildschirm fieberhaft, auf der Suche nach aktualisierten
Wetterdaten hunderte von Kanälen abzuklappern, die
unsichtbar über dieses Stückchen Erde
hinwegstrichen.
    Das Datum war der 8. Juni 2037. Glaubte

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