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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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man aufwachte.
    Er trocknete sich ab und zog sich rasch an, ehe er einen
letzten Blick in den Spiegel warf und sich mit den Fingern durch
sein widerspenstiges schwarzes Haar fuhr. Im letzten Moment kam
ihm in den Sinn, seinen Revolver in den Gürtel zu schieben,
dann wandte er sich zur Tür.
    Es war der Nachmittag des 24. März 1885. Zumindest dachte
Josh das immer noch.
     
    Im Innern des Forts herrschte große Aufregung. Von allen
Seiten liefen Soldaten über den bereits im Schatten
liegenden viereckigen Platz zum Tor. Josh schloss sich dem
fröhlichen Zug an.
    Viele der Briten, die hier in Jamrud stationiert waren,
gehörten dem 72. Highlander-Regiment an, und obwohl manche
von ihnen lose, knielange Hosen wie die Eingeborenen trugen,
waren andere in Khakijacken und enge Hosen aus rotkariertem Stoff
gekleidet. Aber weiße Gesichter sah man weniger, denn
Gurkhas und Sikhs waren zahlenmäßig den Briten drei zu
eins überlegen. Wie auch immer, an diesem Nachmittag
drängelten Europäer wie Sepoys ungeduldig aus
dem Tor des Forts. Diese Männer, die endlose Monate lang
fern von ihren Familien an diesem trostlosen Ort stationiert
waren, hätten alles dafür gegeben, wenn endlich einmal
irgendetwas »los« gewesen wäre, ein klein wenig
Abwechslung von dem ewig gleichen Trott. Doch auf dem Weg
über den Platz bemerkte Josh Hauptmann Grove, den Kommandeur
des Forts, der mit sehr besorgtem Gesicht auf das Tor
zusteuerte.
    Die Strahlen der tief stehenden Sonne empfingen Josh, sobald
er sich nach draußen gekämpft hatte, und blendeten ihn
ein wenig. Eine trockene Kälte lag in der Luft, und er
stellte überrascht fest, dass er zu bibbern begann. Der
Himmel war blaugrün und wolkenlos, aber am westlichen
Horizont bemerkte Josh einen dunklen Streifen, der aussah wie
eine aufziehende Gewitterfront. Solch turbulentes Wetter war
ungewöhnlich für diese Jahreszeit.
    Die »Nordwestgrenze«: jener Ort, wo Indien auf
Asien traf. Für die Briten stellte dieser gewaltige, von
Nordost nach Südwest verlaufende Korridor zwischen den
Bergketten im Norden und dem Indus im Süden die
natürliche Grenzlinie ihres indischen Dominions dar. Aber es
war eine verwundbare, blutgetränkte Barriere, von deren
Stabilität die Sicherheit der kostbarsten Provinz des
britischen Weltreiches abhing. Und das Fort von Jamrud klebte
mitten drin.
    Das Fort selbst war eine weitläufige Anlage mit dicken
Steinmauern und mächtigen Wachtürmen an den Ecken.
Außerhalb der Mauern standen kegelförmige Zelte in
militärisch exakten Reihen. Jamrud war ursprünglich von
den Sikhs erbaut worden, die lange hier geherrscht und ihre
eigenen Kriege gegen die Afghanen geführt hatten; doch nun
war es durch und durch britisch.
    Dennoch war es nicht das Schicksal des Reiches, um das sich
heute die Gedanken der Männer drehten. Die Soldaten
strömten über den zertrampelten Flecken Erde, der dem
Fort als Exerzierplatz diente, zu einer Stelle etwa hundert Yards
vom Tor entfernt. Dort konnte Josh eine Kugel erkennen, die
aussah wie jene über den Ladentüren der Pfandleiher und
die frei schwebend in der Luft hing. Sie war silberfarben und
glänzte hell im Sonnenlicht. Etwa fünfzig
Kavalleristen, Offiziersburschen und Zivilisten hatten sich
bereits unter dieser mysteriösen Kugel versammelt –
ein lärmender Haufen in unterschiedlichster zwangloser
Gewandung.
    Und selbstverständlich befand sich Ruddy mitten drin.
Sogar jetzt hatte er die Situation völlig unter Kontrolle,
schritt unter der schwebenden Kugel auf und ab und kratzte sich
am Kinn, während er durch seine Flaschenbodenbrille
gedankenschwer wie Newton hinaufstarrte. Ruddy war ein kleiner
Mann, nicht viel größer als einssechzig, und
untersetzt, ja fast ein wenig dicklich. Er hatte ein breites
Gesicht, ein keckes Schnurrbärtchen und eine breite, durch
den jetzt schon zurückweichenden Haaransatz noch höher
wirkende Stirn über den widerborstigen Augenbrauen. Widerborstig – ja, dachte Josh mit beinahe
liebevoller Zuneigung, widerborstig, das war das Wort für
Ruddy. Mit seiner steifen, wenngleich energischen Art, sich zu
geben, wirkte er eher wie neununddreißig als wie neunzehn.
Er hatte eine hässliche, nässende rote Schwellung auf
der Wange, sein »Lahore-Übel«, von dem er
annahm, es rühre von einem Ameisenbiss her, und das auf
keine Behandlung ansprach.
    Manchmal spotteten die Rekruten über Ruddys
Aufgeblasenheit und

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