Die Zeit-Odyssee
Bisesa wenigstens.
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DAS AUGE DES BÖSEN
Den ersten Hinweis auf die seltsamen Ereignisse, die sich auf
der Welt abzeichneten, erhielt Josh White in Form eines unsanften
Erwachens: eine rüde Hand, die an seiner Schulter
rüttelte, ein gottloser Radau, ein breites Gesicht, das auf
ihn herabblickte.
»Also wirklich, Josh – nun wach schon auf, Mann!
Das glaubst du nicht… Kuriose Sache… Wenn das nicht
die Russen sind, fresse ich deine Wickelgamaschen!«
Es war Ruddy, natürlich. Das Hemd des jungen Journalisten
stand offen, und er hatte kein Jackett an. Eigentlich sah er ganz
so aus, als wäre er eben selbst erst dem Bett entstiegen.
Aber sein Gesicht, das von dieser hohen, breiten Stirn beherrscht
wurde, war schweißbedeckt, und hinter den
Brillengläsern, die dick waren wie Flaschenböden,
funkelten und tanzten seine Augen.
Blinzelnd setzte Josh sich auf. Durch das offene Fenster fiel
Sonnenschein ins Zimmer. Es war später Nachmittag: Sein
Schläfchen hatte eine Stunde gedauert. »Zum Henker,
was auf dieser Erde kann so wichtig sein, dass es mich um mein
Nickerchen bringt? Ganz besonders nach letzter Nacht…
Gestatte, dass ich mir erst einmal das Gesicht
wasche…«
Ruddy trat zur Seite. »Also gut. Zehn Minuten, Josh! Du
verzeihst es dir nie, wenn du das versäumst! Zehn
Minuten!« Und er stürzte aus dem Zimmer.
Josh fügte sich dem Unvermeidbaren, stand auf und tastete
sich schlaftrunken durch den Raum.
Wie Ruddy war auch Josh Journalist, ein Sonderkorrespondent
des Boston Globe, mit dem Auftrag, bunte Reportagen von
der »Nordwestgrenze«, diesem fernen Winkel des
Britischen Reiches, zu liefern – fern zwar, jedoch
möglicherweise entscheidend für Europas Zukunft und
somit selbst in Massachusetts von Interesse. Das Zimmer war kaum
mehr als ein enges kleines Kämmerchen in einer Ecke des
Forts, und er musste es sich mit Ruddy teilen, dem der Dank
dafür zustand, dass es vollgestopft war mit Kleidern, halb
ausgepackten Koffern, Büchern, Papierkram und einem kleinen
Klappschreibtisch, auf dem Ruddy seine Berichte für den Civil and Military Gazette and Pioneer, seine Zeitung in
Lahore, verfasste. Was das Zimmer betraf, war Josh jedoch froh,
dass sie überhaupt eines hatten. Die meisten Truppen hier in
Jamrud, sowohl Inder als auch Europäer, verbrachten ihre
Nächte in Zelten.
Im Unterschied zu den Soldaten hatte Josh ein Recht auf seinen
Nachmittagsschlaf, wenn er ihn brauchte. Doch nun konnte er
hören, dass in der Tat etwas Ungewöhnliches im Gange
sein musste: laute Stimmen, rennende Füße. Gewiss
keine Militäraktion, auch kein neuerlicher Überfall der
rebellischen Paschtunen, sonst hätte er längst schon
Gewehrfeuer zu hören bekommen. Was dann?
Josh fand warmes, sauberes Wasser in der Schüssel vor,
und sein Rasierzeug lag daneben bereit. Er wusch sich Gesicht und
Hals und stierte sein triefäugiges Spiegelbild an, das ihm
aus der halbblinden Scherbe an der Wand entgegenstarrte. Er hatte
zart geschnittene Gesichtszüge mit, wie er meinte, einer
Stupsnase, und die Tränensäcke heute Nachmittag waren
seinem Aussehen keineswegs zuträglich. Im Grunde genommen
hatte ihm der Schädel heute Morgen gar nicht so sehr
gebrummt, denn er hatte mittlerweile seine Lektion gelernt und
hielt sich ausschließlich an Bier, um die langen Abende im
Offizierskasino zu überleben. Ruddy hingegen hatte seiner
gelegentlichen Lust auf Opium nachgegeben – doch die
Stunden, die er damit verbrachte, an der Pfeife zu saugen,
schienen keine Folgeschäden an seiner neunzehn Jahre alten
Konstitution zu hinterlassen. Josh, der sich mit seinen
dreiundzwanzig wie ein Kriegsveteran fühlte, beneidete ihn
darum.
Noor Ali, Ruddys Boy, hatte lautlos Wasser und Rasierzeug
vorbereitet. Das war ein Grad von Bedienung, den der Bostoner
Josh beinahe als peinlich empfand: Wenn Ruddy die schlimmsten
Nachwehen seines Vergnügens ausschlief, erwartete er, von
Noor Ali im Bett rasiert zu werden – sogar im Schlaf! Und
es fiel Josh auch schwer, sich mit den Hieben abzufinden, deren
Verabreichung an Noor Ali Ruddy von Zeit zu Zeit für
nötig hielt. Aber Ruddy war ein »Anglo-Inder«,
geboren in Bombay, und dies hier war Ruddys Land, mahnte sich
Josh und erinnerte sich daran, dass er hier war, um zu berichten,
und nicht, um Urteile zu fällen. Abgesehen davon war es
nicht unangenehm, warmes Wasser und ein, zwei Tassen heißen
Tee vorzufinden, wenn
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