Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
Mauren von den Eroberern der Stadt vertrieben worden waren, hatten spätere Generationen christlicher Regenten Kunsthandwerker aus Granada geholt, damit sie an diesen Gebäuden arbeiteten, sie erhielten und sogar erweiterten.
Sevilla war also nicht wie London, wo die normannischen Eroberer mit ihren Festungen und Kathedralen jedes Symbol des alten Sachsenstaates ausgelöscht hatten. Hier lebte der Geist der Mauren in einem christlichen Land weiter.
Vielleicht würden sich die Dinge jedoch ändern. Zweihundertdreißig Jahre nach der Eroberung war Sevilla noch immer die südlichste christliche Stadt in Spanien. Die große Flut der Reconquista war zum Stehen gekommen. Konflikte zwischen ihren eigenen rivalisierenden Königreichen lenkten die Christen ab, und das große Sterben beeinträchtigte ihr gewaltiges Projekt, das besetzte Land wieder zu bevölkern; wo einst die Mauren das Land begrünt hatten, grasten jetzt nur christliche Schafe. Sevilla blieb eine Stadt am Scheitelpunkt einer großen Veränderung, dachte James. Vielleicht war es kein Wunder, dass sich apokalyptische Legenden um den Ort rankten.
Bei seinem ersten Spaziergang durch diese seltsame, komplizierte, verworrene Stadt sah James jedoch keine Notwendigkeit für eine Säuberung, sondern eine vitale menschliche Vielfalt, die ihm recht gut gefiel.
In der Nähe des Alcázar sah er zwei Mädchen auf
einer Bank sitzen; sie aßen Orangen, die sie mit den Daumen schälten. Nicht älter als zwölf oder dreizehn, dunkel und schüchtern aussehend, kicherten sie miteinander, während sie aßen, behielten die Leute in ihrer Umgebung jedoch wachsam im Auge. Auf die Blusen beider Mädchen waren gelbe Kreuze gestickt, das hieß, sie waren Jüdinnen. Sie mussten hässliche Symbole an ihrer Kleidung tragen, aber zumindest waren sie hier. In England gab es keine solchen jüdischen Mädchen, die im Sonnenschein lachten und Orangen aßen.
Als die Mädchen sahen, dass James sie beobachtete, wandten sie nervös den Blick ab. Verlegen und ärgerlich über sich selbst, weil er ihnen Angst machte, eilte er weiter.
Er ging zum Fluss zurück und schlenderte zu einer komplizierten Schiffbrücke aus siebzehn Lastkähnen.
Und jenseits dieser Brücke sah er den brütenden Bau der Burg von Triana. Sie war das Hauptquartier der Inquisition.
IV
Bevor Harry nach York reiste, kehrte er für ein paar Tage nach Oxford zurück, um seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
Dann traf er sich mit Geoffrey Cotesford auf der großen Nordstraße, dem alten Römerweg, der von London nach Schottland führte. Harry hätte lieber den Seeweg genommen, was wesentlich angenehmer gewesen wäre, aber Geoffrey behauptete, kein Geld zu haben. Also rumpelten sie in ihrem Wagen dahin, und Harry zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie über ein Schlagloch fuhren. An manchen Stellen kamen sie nur mühsam voran, weil es über hundert Jahre lang niemanden gegeben hatte, der Zäune gepflegt, Brücken ausgebessert und angefangene Arbeiten beendet hätte.
Geoffrey zeigte ihm besondere Landschaftsmerkmale. »Immer noch leer – ich hab’s Euch ja gesagt!«
Harry sah eine Stadt, die zur Hälfte zu Ackerland geworden war. Sein Blick schweifte über völlig verlassene Dörfer, die dachlosen Häuser in sich zusammengesunken wie Greise, die Felder überwuchert. Ausgedehnte Landstriche waren Schafherden überlassen worden, die andächtig blökten, während sie an dem Gras knabberten, das um die Ruinen wuchs. Für gewöhnlich
fuhr er an solchen grasbewachsenen Hügeln aus eingestürzten Mauern und verlassenen Gebäuden vorbei, ohne allzu genau hinzuschauen; sie gehörten einfach zur Landschaft. Aber Geoffrey kannte kein Erbarmen.
»Das Land hat seine eigene Art und Weise, sich zu säubern. Krähen, Ratten und Fliegen! Selbst sie haben einen Zweck in Gottes großem Plan. Aber wir sind nie zurückgekommen, Harry; wir haben unsere Dörfer nicht wieder in Besitz genommen.«
»Warum reden wir schon wieder über den großen Tod?«
»Weil er Eure Familie geprägt oder vielmehr: neu geprägt hat, Harry. Das ist es, was ich herausgefunden habe. Die leere Welt nach dem Sterben unterschied sich völlig von der davor. Auf einmal gab es nur noch so wenige Menschen, dass die Arbeit häufig unerledigt blieb; ein schlechter Grundherr konnte seine Leute nicht halten, weil es irgendwo anders immer Arbeit gab. Als die Adligen alles wieder in die Büchse der Pandora zurückzustopfen versuchten, war es schon zu spät; es kam zu
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