Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
Lebensrhythmus hier ganz anders als in England. Gegen Mittag zogen sich die Menschen in den Schatten ihrer Häuser zurück; Fenster und Läden wurden geschlossen. Selbst die Tiere verstummten, als schlafe die ganze Stadt unter einer Decke aus dichter, staubiger, orangefarbener Luft. Doch als der Abend kam und mit ihm ein erster Hauch von Kühle, begann sich die Stadt erneut zu regen. Die Straßenlaternen wurden angezündet, und die Stadt erwachte als ein Firmament aus
Licht und Bewegung, aus Musik und Gelächter zum Leben.
Robert war hingerissen.
Am zweiten Morgen begaben sie sich zu Sihtrics kleinem Stadthaus. Roberts Herz schlug schneller, als Moraima sich ihnen anschloss.
Sihtric bewirtete sie mit verdünntem Wein und verkündete, er werde Orm später am Tag seinem Gönner vorstellen, einem gewissen Ahmed Ibn Tufayl, Wesir des Emirs jener taifa , zu der Córdoba jetzt gehörte. »Als der Wesir erfahren hat, dass du kommen würdest, Orm, hat er mir befohlen, dich zu ihm zu bringen. Die Kalifen haben den Wikingern immer standgehalten; dies war nicht Alfreds England, schwach, rückständig und gespalten, und es gibt hier nur wenige Wikinger. Darum ist er sehr neugierig auf dich!«
»Hoffentlich enttäusche ich ihn nicht«, knurrte Orm unwirsch. Im hellen spanischen Sonnenschein war er massiv, schwer und irgendwie dunkel, fand Robert. Er fühlte sich hier nicht wohl. Und er hatte wahrscheinlich Kopfschmerzen von dem Mönchswein, den er mit Sihtric in der vergangenen Nacht gebechert hatte. »Fällt dir heute nichts an mir auf?«, wandte er sich an Robert.
»Bei Gottes Augen. Du hast dir die Haare geschnitten.«
Orm strich sich übers Kinn. »Ja, und ich habe mich auch gründlich rasiert. Und ein Bad genommen.«
Robert war baff. »Das ist nicht dein Ernst!«
»Ich bin in eins dieser maurischen Badehäuser gegangen.
War ganz angenehm, wenn es einen nicht stört, dass man hinterher stinkt wie eine oströmische Hure.«
Ibn Hafsun lächelte. »Man muss schon vorzeigbar sein, wenn man einen muslimischen Herrscher treffen will. Saubere Kleidung, eine gründliche Wäsche. Die Abgesandten der christlichen Könige, selbst die des Papstes, haben das immer gewusst. Aber natürlich haben die Christen heutzutage nicht mehr ganz so viel Ehrfurcht vor den Mauren wie zur Zeit meines Vaters.«
Moraima, die ihnen Wein nachschenkte, kam an Robert vorbei. »Ich bin froh, dass du nicht gebadet hast. Ich mag den Geruch der Christen.« Und sie wandte sich mit einem flüchtigen, verführerischen Lächeln ab.
Sihtric hielt ihnen einen Vortrag über Córdobas Pracht. »Zu seiner besten Zeit, noch vor einer Generation, war es die größte Stadt im Westen. Es hatte sogar genauso viele Einwohner wie Konstantinopel. Fünfhundert Moscheen. Dreihundert Badehäuser. Fünfzig Krankenhäuser. Weißt du überhaupt, was ein ›Krankenhaus‹ ist, junger Robert?
Und die größte Bibliothek der Welt, so heißt es, habe hier in Córdoba unter den Kalifen ihre Blütezeit erlebt. Alles fing damit an, dass der oströmische Kaiser dem Kalifen ein Exemplar eines pharmakologischen Textes von Dioscorides schickte – habt ihr von ihm gehört? Es war, als werfe man ein Stück heißes Eisen in eine Pfanne voller Wasser. Das Geistesleben in al-Andalus ist regelrecht übergekocht …»
Die reichen, im Frieden lebenden Kalifen förderten die Bildung als willkommenes Symbol der Macht und eines hohen Entwicklungsstandes. Und sie waren dazu viel besser in der Lage als die westliche Christenheit, denn sie hatten Zugang zu den erhalten gebliebenen Werken des Altertums. Mit Hilfe von Legionen von Kopisten und Übersetzern verschmolzen die maurischen Gelehrten griechisches und römisches Wissen mit dem, was ihre Verwandten in Damaskus und Bagdad von den Persern übernommen hatten, und dann bauten sie auf diesem Fundus auf. Das Ergebnis war eine Blütezeit der Astronomie und Physik, der Medizin und Philosophie.
»Die Bibliothek wuchs auf vierhunderttausend Bücher an«, sagte Sihtric. »Allein der Katalog umfasste vierundvierzig Bände! Und das zu einer Zeit, als die Könige von England komplette Analphabeten waren. Doch nachdem das Kalifat zusammengebrochen war, wurde die Bibliothek aufgelöst. Ach, wie gern wäre ich eine Generation früher geboren! Aber in der Stadt stößt man immer noch an allen Ecken und Enden auf Bücher, als hätte man sie irgendwie ausgewildert. Dass ich für Ibn Tufayl so nützlich bin, liegt nicht nur an meiner Bildung, denke ich,
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