Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
sondern ebenso sehr an meinem Geschick beim Aufspüren der Bücher …«
Sihtric war ein Mensch voller Widersprüche. Trotz seiner Bewunderung für die maurischen Errungenschaften Córdobas legte er Wert darauf, die tieferen römischen Ursprünge der Stadt hervorzuheben.
Ȇberall in Westeuropa ist es dasselbe. Wir hausen
alle in den gewaltigen Ruinen des Imperiums, vierhundert Jahre, nachdem irgend so ein primitiver Germane den letzten Kindkaiser vom Thron gestoßen hat. Wusstet ihr, dass der Philosoph Seneca aus dieser Stadt kam? Und Kaiser Hadrian, der in Britannien seine Spuren hinterließ, wie du sehr gut weißt, Orm, stammte aus der spanischen Stadt, die bei den Römern Italica hieß und jetzt die Hauptstadt unserer hiesigen taifa ist, Ishbiliya oder Sevilla …«
Während er weiterplapperte, packte Moraima unerwartet Roberts Hand, hielt sich einen Finger vor die Lippen und zog ihn aus dem Raum. »Komm. Wenn sie merken, dass wir uns verdrückt haben, sind wir schon weit weg.«
Robert fand es ungeheuer aufregend, mit Moraima zu einem unerlaubten Abenteuer aufzubrechen – endlich mit ihr allein zu sein, ohne dass ihm Väter oder lüsterne Kameltreiber in die Quere kamen. Aber ein Rest von Pflichtbewusstsein veranlasste ihn einzuwenden: »Wir müssen zu diesem Wesir …«
»Ich bringe dich schon rechtzeitig zum Palast. Ich dachte, du wärst ein Krieger – aber du bist ja ein richtiger Angsthase. Jetzt komm schon.«
Also brachen sie auf, einander an den Händen haltend, kichernd und halb rennend wie kleine Kinder.
Sie führte ihn zu einem belebten, lärmigen Markt voller Stände mit Stapeln von Fliesen, Schalen und feinen Samt-, Filz- und Seidenstoffen. Moraima erzählte ihm, dass Schuhe, Teppiche und Papier aus Córdoba in der ganzen muslimischen Welt berühmt seien. Auch
exotische Importe waren zu finden: Walross- und Eisbärfelle aus Skandinavien, geschnitztes Elfenbein und Goldschmuck aus Afrika, Seide, Gewürze und Juwelen aus dem Osten, sogar feine Wolle aus England. An einem Stand gab es einen Haufen Früchte, deren Namen Moraima ihm nennen musste, bis auf die Orangen: Zitronen, Limonen, Bananen, Granatäpfel, Wassermelonen, Artischocken. Nicht einmal die normannischen Könige, glaubte Robert, aßen derart exotisches Zeug.
»Es heißt, Córdoba sei eher afrikanisch als europäisch. Paris oder London seien ganz anders«, meinte Moraima.
»Afrika fängt bei den Pyrenäen an«, wiederholte Robert die Worte seines Vaters.
»Ich war noch nie jenseits der Pyrenäen. Ich würde gern einmal London sehen. Oder York.«
»Da war ich schon. Und in anderen Städten auch.«
»Du bist ein Glückspilz.«
Er zuckte die Achseln. »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch klein war. Ich gehe dorthin, wohin mein Vater geht. Er ist Soldat. Irgendjemand rebelliert immer, und dann geht er hin und sorgt für Ruhe und Ordnung.«
»Und London …«
»Groß. Schmutzig. Übervölkert. Eine Kathedrale wie ein großer schwarzer Haufen. Die Normannen bauen eine riesige Festung in die Ecke der alten römischen Mauer. Und York ist ein Misthaufen. Es hat sich von der normannischen Heimsuchung vor zwanzig Jahren nicht mehr erholt.«
»›Heimsuchung‹? Was heißt das?«
»Frag meinen Vater. Er war dabei.«
Aber jenes verwundete Land schien weit, weit weg von dieser lichterfüllten Stadt; es kam ihm irgendwie unwirklich vor. »Du hast nicht viel Ähnlichkeit mit deinem Vater, weißt du«, sagte er.
»Wieso?«
»Du wirkst so …« Er suchte das richtige Wort. »Fröhlich. Dein Vater scheint ganz und gar nicht fröhlich zu sein.«
Moraima hob die Schultern. »Er bewundert die Stadt, die Errungenschaften der Mauren. Er genießt die Gelehrsamkeit. Aber gleichzeitig verabscheut er sie. Ich glaube, er muss es, weil sie nicht christlich ist.«
»Und doch bleibt er hier«, sagte Robert. »Warum? Deinetwegen?«
»Ja, meinetwegen.« Aber sie sagte es bar jeden Gefühls. »Und er hat seine Projekte. Es geht um die Bibliothek, die Bücher. Um Geschichte.«
»Alles für den Wesir?«
»Vom Wesir bezahlt, ja, aber nicht für ihn.«
»Was denn für Projekte?«
»Mir erzählt er doch nichts.« Es schien ihr peinlich zu sein, und sie fragte: »Was ist mit deinem Vater? Warum ist er hier?«
Robert seufzte. »Es hat etwas mit deinem Vater und dessen Plänen zu tun. Obwohl ich keine Ahnung habe, was ihn daran stört, wenn jemand im fernen Spanien ein paar Bücher liest.« Er sah sie an. »Moraima – wir sprechen ständig
Weitere Kostenlose Bücher