Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
interessiert. Ich glaube, am meisten haben sie Colóns wilde Versprechungen von
Gold aus Cathay gereizt. Die Monarchen brauchen Gelder für ihren Krieg gegen den Islam.«
»Dann wäre es also möglich, dass sie sein Vorhaben unterstützen?«, fragte Geoffrey.
»Sie haben eine junta ernannt, eine Kommission aus Geografen, Navigatoren und Schiffskapitänen unter Leitung des Beichtvaters der Königin, um seinen Vorschlag zu prüfen.«
Harry kam das alles wie ein persönlicher Albtraum vor. Ihm war, als trete diese Figur, Colón, aus einem Nebel des Chaos, aus der obskuren alten Sprache des Testaments, aus den wirren Reden seines sterbenden, biergetränkten Vaters ins kalte Licht der Realität.
Geoffrey spürte sein Unbehagen. »Nur Mut, Harry.«
Harry versuchte, sich auf die praktischen Dinge zu konzentrieren. »Ist überhaupt irgendwas dran an diesem Gerede von der Überquerung des Ozeanmeeres und von riesigen, unbekannten Reichen? Wenn nicht, können wir das alles als Spinnerei abtun.«
»Was meint Ihr ?«, entgegnete Geoffrey.
Harry zuckte die Achseln. »Ich bin kein Navigator. Meine Reise von London nach Malaga war meine bisher längste Seereise. Ich weiß nur, was ich gehört habe.«
»Nämlich?«
»Dass die Welt ein gefährlicher Ort ist. Die Römer haben das Ozeanmeer Mare Ignotum, das unbekannte, genannt, und nicht ohne Grund. Es heißt, im Westen liege das Meer des Verderbens, wo gewaltige
Strudel ein Schiff zerquetschen können wie eine Kinderfaust eine Fliege. Fährt man nach Süden in Richtung Äquator, gerät man in die ›heiße Zone‹, wo man von der Hitze der Sonne schwarz gefärbt wird, bevor einem das Fleisch von den Knochen gekocht wird. Und die Welt ist keine Kugel, wie die Alten geglaubt haben, sondern eher birnenförmig, mit einer großen Ausbuchtung im fernsten Osten, wo das irdische Paradies liegt.« Ihm war unbehaglich zumute, als Abdul sich das in kaltem Schweigen anhörte. »Das haben mir Seeleute erzählt.«
»Na schön«, sagte Abdul. »Aber was für Seeleute? Wahrscheinlich Europäer, die sich kaum aus der Pfütze des Mittelmeers hinausgewagt haben. Doch die Chinesen sind viel weiter gefahren und haben einiges mehr herausgefunden …«
Und er sprach von seiner Zeit auf den Schatzschiffen.
»Du hättest sie sehen sollen, Vetter. Sie hatten keinerlei Ähnlichkeit mit unseren kleinen Schiffen. Wie schwimmende Städte waren sie, mit einem gewaltigen, rechteckigen Bug, gekrönt von Schlangenaugen. Neun Masten trugen riesige rote Segel aus Seide. Die Schiffe hatten Schotten, damit sie nicht versenkt werden konnten. Die Laderäume waren mit konservierten Nahrungsmitteln gefüllt, es gab riesige Süßwasserbehälter, und sie züchteten Sojabohnen an Bord und hielten Otter in ihren Laderäumen, um Fische zu fangen – sie konnten monatelang auf See bleiben! Und die Offiziere erfreuten sich an Banketten, Tänzen und der Gesellschaft von Kurtisanen.
Das ist jetzt alles vorbei. Es gab einen Aufruhr am Hof, einen Brand in der Verbotenen Stadt, eine Menge böser Omen – die Eunuchen-Admirale wurden in den Ruhestand versetzt, die Schiffe zerlegt. Die Mandarine am Hof halten sich an die Prinzipien des Tao – Ordnung, Stabilität, Harmonie aller Dinge. Diese Denkweise eignet sich nicht gut für die Erforschung des Unbekannten. Am Ende sind die Chinesen wohl zu dem Schluss gelangt, dass China Welt genug für sie ist.
Aber zur Blütezeit dieser gewaltigen Schiffe, noch vor ein paar Jahrzehnten, haben sich die Chinesen weit auf die Meere hinausgewagt – um Indien herum, bis zur Küste von Afrika, aber auch in den Südosten, wo sie gewaltige Landmassen und fremde Völker entdeckt haben, von denen die Europäer nichts wussten.
Hört mir zu. Ich bin einmal einem Mann begegnet, der in der Verbotenen Stadt gearbeitet hatte. Er erzählte mir, die Eunuchen-Entdecker hätten Funde aus einem trockenen Land im Süden mitgebracht und in einem Zoo zur Schau gestellt: seltsame, magere Menschen mit schwarzer Haut, flachen Nasen und lockigem Haar; Bäume, die ihr Laub behielten und ihre Rinde abwarfen; riesige Kreaturen mit Gesichtern, die denen von Hirschen ähnelten, und Hinterläufen wie riesige Hebel – sie trugen ihre Jungen in einer Hauttasche an ihrem Bauch mit sich herum …»
Harry lächelte. »Solche Wirtshausgeschichten habe ich auch gehört.«
»Na schön, na schön. Aber eins will ich euch sagen:
Dank uns Mauren und dank ihres eigenen Könnens haben die Chinesen viel mehr über die
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