Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
Gurdu.«
Ibn Shaprut betrachtete das Mädchen. »Dein Kind ist sehr still.«
Sie lächelte dünn. »Der Kleine ist schlau. Er hat gelernt, keine Kraft mit Weinen zu verschwenden.« Ihre Stimme klang kratzig, wie die einer alten Frau. Ihr Gewand war schmutzig und zerrissen, die Augen in ihrem eingefallenen Gesicht wirkten riesig, und das Kind in ihren Armen war in Lumpen gehüllt. Sie hieß Obona. Ibrahim hatte sich ihr Alter – sechzehn Jahre – bestätigen lassen müssen; er hatte gelernt, dass einem der Hunger ein jugendliches Aussehen, ja sogar eine Art ätherischer Schönheit verlieh, bevor er einen sehr alt machte.
»Du hast ihn heute hierher mitgebracht«, sagte Ibn Shaprut. »Hast du keine Angehörigen, die ihn nehmen könnten?«
»Meine Eltern sind nach Granada geflohen, bevor die christlichen Heere an die Mauern gekommen sind.«
»Ohne dich?«
»Sie haben sich meiner geschämt. Meine Großmutter ist jedoch hiergeblieben und hat mir geholfen. Aber sie ist im Frühjahr gestorben.«
»Und jetzt bist du allein«, sagte Ibrahim.
»Ja, Herr.«
Ali Gurdu ballte eine pummelige Hand zur Faust. »Als Nächstes bekommt sie noch eine gezuckerte Aprikose von euch. Schluss mit diesen Fragen! Sie ist eine Diebin! Nur darum geht es hier, ihr Kind und ihre Großmutter spielen keine Rolle. Sie hat mich bestohlen!«
Ibrahim warf einen Blick auf seine Notizen. Ali Gurdu bezeichnete sich als Lebensmittelhändler. Er besaß einen Vorrat an Trockenobst, gesalzenem Fleisch und Reis, den er beständig verkaufte. Trotz der überhöhten Preise, die er zweifellos dafür nahm, verstieß das nicht unbedingt gegen das Gesetz. Aber Ibrahim fand, dass dem Mann ein Gestank anhaftete, der nicht nur von einer schmierigen Schweißschicht kam.
»Sie ist als Kundin zu dir gekommen«, sagte er. »Sie hat ein Stück gesalzenes Fleisch gekauft.«
»Was für Fleisch war das?«, wandte sich Ibn Shaprut an das Mädchen.
Sie zuckte die Achseln. »Ratte, glaube ich. Oder Katze. Was anderes gibt es ja nicht.«
Das Fleisch einer Ratte, die sich zweifellos an den Leichen in den Gemeindegräbern gütlich getan hatte. »Du hast also dein Stück Rattenfleisch genommen …«
»Sie hat zwei Spieße genommen«, erklärte Ali Gurdu hartnäckig. »Mehr, als sie bezahlt hat.«
»Einer hat nicht gereicht«, sagte das Mädchen elend. »Das Kind – ich stille es noch.«
»Das trocknet deinen Körper aus«, sagte Ibn Shaprut sanft. »Ich verstehe.«
»Sie ist mit dem gestohlenen Fleisch weggelaufen.«
»Aber du hast sie nicht verfolgt«, erwiderte Ibn Shaprut. »Sie ist nur erwischt worden, weil sie das Pech hatte, direkt in einen von Ibrahims Amtsdienern hineinzulaufen. Sonst hättest du nichts davon gesagt.«
»Ich war einfach nur langsam«, plusterte Ali Gurdu sich auf. »Schockiert. Bestürzt! Ich bin es nicht gewohnt, so unverfroren bestohlen zu werden, und dann auch noch von einem so jungen Mädchen. Was ist bloß aus der Welt geworden?«
Ibrahim hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Obona, womit hast du dieses Fleisch bezahlt? Hast du Geld?«
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Eltern haben alles mitgenommen, was wir besaßen. Meine Großmutter hatte ein paar Münzen, aber als sie im Sterben lag, habe ich die letzten für ein bisschen Wasser ausgegeben.«
»Trotzdem musst du essen«, sagte Ibrahim. »Trotzdem musst du trinken. Wie hast du ihn bezahlt?«
Sie warf Ali Gurdu einen Blick zu und sah dann unverkennbar beschämt auf ihr Kind hinunter.
»Nun, ich denke, das ist klar genug«, sagte Ibrahim, der sich keine Mühe gab, seinen Abscheu zu verbergen.
»Nahrung gegen Liebesdienste, Ali Gurdu? Ist es so?«
Ali Gurdu schaute trotzig drein. »Man könnte es auch als Mitleid bezeichnen. Ich meine, seht sie euch doch an. Haut und Knochen. Wer würde sie haben wollen?« Er schlug sich mit einer fetten Faust in die Hand. »Aber es trotzdem Diebstahl, wie man es dreht und wendet. Also, was wirst du nun in der Sache unternehmen, ›Wesir des Wesirs‹?«
Ibrahim hatte unerträglichen Durst, obwohl er noch Stunden durchhalten musste, bis er wieder etwas von seiner Wasserration trinken durfte. Er fühlte sich von diesem schmuddeligen Fall beschmutzt, wie von so vielen anderen, mit denen er sich hatte befassen müssen.
An all dem waren die Christen schuld. Die Kastilier hatten im Frühling einen Belagerungsring um die Stadt gelegt, als König Fernando in den Küstengewässern eine Flotte versammelt, sich auf dem Guadalquivir
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