Die Zeitdetektive 01 Verschworung in der Totenstadt
Bereich der gewaltigen Palastanlage erreicht. Hier befanden sich unscheinbare Häuser, in denen die Diener lebten. Sie gelangten an einigen Wachen vorbei durch ein monumentales Tor auf einen Hof, der von Hatschepsut-Statuen eingerahmt wurde. An den Hof schlossen sich die so genannten offiziellen Räume des Palastes an: Die Polizisten trieben die Kinder an verlassenen Schreib- und Beamtenstuben, Galerien, Prunkzimmern und Empfangssälen vorbei. Schließlich erreichte der ungewöhnliche nächtliche Trupp die Privatresidenz der Pharaonin. Neben der vergoldeten Doppeltür standen zwei reich verzierte Statuen: Hathor, die Himmelsgöttin und Re, der falkenköpfige Sonnengott. Zwei Diener öffneten mit unbeweglichen Gesichtern die Doppeltür.
Die Kinder betraten mit klopfenden Herzen den heiligsten Raum des Palastes. Ihre Münder klappten auf. Eine solche Pracht hatten sie noch nie gesehen. Der Boden war vergoldet, die Wände des Saales waren über und über mit Götterdarstellungen aus reinem Gold sowie silbernen Bäumen und Tieren verziert. An der Dekke funkelten herrliche Einlegearbeiten aus dunkelblauem Lapislazuli-Stein. Und auf dem Horus-Thron aus purem Gold saß eine bildschöne Frau Mitte zwanzig, die Göttin vom Nil. Krummstab und Wedel hielt sie fest in den Händen. Die Pharaonin war in orangefarbenes Leinen gekleidet und trug ein Diadem mit glitzernden Steinen. Ihr Kopf war mit einem gelbschwarz gestreiften Tuch bedeckt, dessen Seitenteile auf ihre Schultern niederfielen. Am Stirnband, das das Tuch hielt, war das Symbol der absoluten Macht befestigt: Sechemty, die Doppelkrone mit dem Geier und der Furcht einflößenden Uräusschlange.
Hatschepsuts schönes Gesicht mit den mandelförmigen Augen, dem vorspringenden Kinn und der leicht gebogenen Nase verriet Neugier, als sich der Hauptmann vor ihr auf den Boden warf und mit der Stirn die Steinfliesen berührte. Julian, Kim und Leon folgten seinem Beispiel. Die Pharaonin gestattete ihnen, sich wieder aufzurichten. Während der Polizist seine Version von den Vorfällen im Hafenviertel von Theben erzählte, verfinsterte sich die Miene der Pharaonin. Doch als der Hauptmann einem seiner Männer ein Zeichen gab und dieser die Katze hereinbrachte, lächelte Hatschepsut.
„Diese Kinder haben Kija entführt, mächtiger Horus“, fasste der Hauptmann am Ende seines Berichts zusammen und verneigte sich erneut. Dann trat er ein paar Schritte zurück.
Hatschepsut musterte das Trio aufmerksam und streng. Inzwischen hatte sich Kija beruhigt und strich der Pharaonin um die Beine. Dann setzte sich die Katze hin und leckte ihr Fell.
„Diese drei Streuner vergreifen sich also an meinem Eigentum“, stellte die Herrscherin fest. Ihre Stimme klang hart und
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wütend. „Reichlich kühn, um nicht zu sagen: dreist. Wer seid ihr überhaupt?“
Julian wagte es, der Pharaonin direkt in die Augen zu sehen. Es kostete ihn viel Kraft, ihrem Blick standzuhalten. Aber er wusste, dass er etwas unternehmen musste, wenn er und seine Freunde dieses Abenteuer lebend überstehen wollten. Seine Gedanken überschlugen sich. Er musste sich möglichst schnell eine überzeugende Geschichte einfallen lassen.
„Unser kleines Dorf wurde von einem räuberischen Wüstenstamm überfallen. Wir drei konnten uns verstecken und mussten mit ansehen, wie unsere Eltern als Sklaven verschleppt wurden“, begann er.
Er bemerkte, dass ihn Kim und Leon bewundernd anschauten. Das Reden und Geschichtenerfinden war schon immer Julians Stärke gewesen.
„Der Hunger trieb uns aus unserem zerstörten Dorf“, fuhr Julian fort. „Ziellos wanderten wir umher, bis wir schließlich zum Nil kamen. Ein Handelsschiff nahm uns flussabwärts mit. Der Schiffsführer war zunächst sehr nett, aber dann merkten wir, dass er uns auch als Sklaven verkaufen wollte. In Theben gelang uns gestern die Flucht. Dort lief uns dann Kija über den Weg.“
Hatschepsut zog die Augenbrauen hoch. Julian betete, dass sie ihm glaubte.
„Eine abenteuerliche Geschichte“, sagte die Pharaonin wenig überzeugt. „Aus welchem Dorf kommt ihr denn?“
Julian geriet in Panik. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Leon kam ihm zur Hilfe. Durch das Abzeichnen der Karte in der Bibliothek hatte er die Geografie der Region im Kopf.
„Von der Kurkur-Oase in Nubien“, antwortete er der Pharaonin rasch.
Langsam nickte Hatschepsut. „Diese Oase kenne ich. Aber warum wolltet ihr meine Kija fangen oder gar töten?“
„So war es ja gar nicht“,
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