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Die Zeitensegler

Titel: Die Zeitensegler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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war das Einzige, was zählte.
Das Einzige.
Und nun war es so weit: Seine Zeit war gekommen.
Er erhob sich von seinem Platz und streichelte mit seinen weißen, spindeldürren Fingern über das Gefieder der riesigen Krähe, die an seiner Seite saß.
»Komm«, sagte er, ohne seine Lippen zu bewegen.
»Es wird Zeit.«

Hart schlugen die Riemen im Wasser auf, während Simon mit aller Kraft an den Rudern zog.
    Ohne lange nachzudenken, hatte er sich Jeans, Shirt und Turnschuhe angezogen, war aus dem Haus geschlichen, um dem vermeintlichen Ruf des Schiffes zu folgen.
    Mit dem Ruderboot seines Vaters kannte er sich bestens aus. Schließlich gab es kaum ein Wochenende, an dem die beiden nicht hinausruderten. Boote und Schiffe waren die große Leidenschaft der beiden. Sie gingen eher wie Freunde miteinander um, nicht wie Vater und Sohn. Vor allem über die Schifffahrt hatte Simon in den vergangenen Jahren eine Menge von seinem Vater lernen können.
    Auch an diesem Abend hatte er das Boot mit geübten Handgriffen und in Sekundenschnelle aus dem Bootshaus gesteuert: hinaus aufs offene Meer. Stetig näherte er sich dem fremden Schiff. Zug um Zug.
    Erst als er etwa die Hälfte der Strecke geschafft hatte, hielt er inne und verschnaufte. Die Muskeln in seinen Armen und Beinen schmerzten und der Schweiß lief ihm über das Gesicht. Simon seufzte erschöpft. Er wandte sich zu dem Schiff um, wollte die Entfernung zum Schiff abschätzen …
    … und fuhr mit einem Schrei des Entsetzens zurück: Die weiße, spindeldürre Hand bewegte sich auf ihn zu!
    Simon duckte sich und hielt die Hände schützend über den Kopf, doch nichts geschah.
    Sekundenlang verharrte er so und hielt den Atem an. Nur langsam traute er sich, wieder aufzuschauen. Vorsichtig wandte er sich um.
    Die Hand war verschwunden. Nur das Schiff war zu sehen. Ruhig lag es im Meer.
    Simon setzte sich auf. Es gelang ihm kaum, wieder zur Ruhe zu kommen. Was geschah hier nur mit ihm? Allmählich wurde ihm die Lage bewusst, in die er sich gebracht hatte. Hier saß er, allein in einem Boot, mitten auf dem Meer, und ruderte auf ein Schiff zu, wie es seltsamer nicht sein konnte. Und das nur, weil ihn Träume dazu gebracht hatten.
    Er blickte sich in seinem engen Ruderboot um. Nicht einmal etwas zu essen hatte er sich mitgenommen. Außerdem hatte er seinen Eltern auch keine Nachricht hinterlassen. Dabei wusste er rein gar nichts: nicht, ob er auf dem Schiff willkommen war. Und noch nicht einmal, ob sich überhaupt jemand an Deck befand!
    Sollte er umkehren?
    Simon schaute angestrengt zum Ufer und auf die kleine Stadt, in der er lebte. Das Haus seiner Familie war von hier schon fast nicht mehr zu erkennen. Lediglich die Dachspitze konnte er noch ausmachen.
    Er wandte sich wieder um und blickte zum Schiff, und es schien ihm mehr denn je, als rufe es nach ihm. Als warte es nur auf ihn!
    Erneut seufzte er laut auf. Dann ergriff er die Enden seiner Ruder und legte sich wieder ins Zeug. Er konnte nicht zurück nach Hause. Er musste dieses Rätsel lösen. Er musste wissen, was all dies zu bedeuten hatte. Und vielleicht würden dann ja auch endlich diese seltsamen Träume aufhören, die ihn quälten.
    Ruhiger, wenn auch mit einem bangen Gefühl im Magen, näherte er sich endlich dem Schiff.

    Nebel zog auf und der Geruch verbrannten Teers stach Simon in die Nase. Er sah an den Schiffsplanken hinauf zu den dicken Rauchschwaden, die von den Fackeln zum Himmel stiegen.
    Inzwischen war er dem Schiff so nahe, dass er die Wände mit seinen Händen berühren konnte. Vorsichtig, beinahe andächtig, streckte er die rechte Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen über das Holz, zog sie jedoch mit einem Ruck sofort wieder zurück: Das rissige, alte, morsche Holz war vom Wasser und von dem Salz so zersetzt – es fühlte sich beinahe an wie die dünne Haut eines alten Menschen. Simon gewann immer mehr den Eindruck, dass das Schiff lebte.
    Er ließ den Blick die Wand entlanggleiten, bis hinauf zur Bordwand. Das Schiff war riesig! Simon kam es beinahe so vor, als befände er sich mit seinem kleinen Boot neben einem walgroßen Tier. Einem riesigen Tier aus Holz, dessen Holzplanken laut knarrten und knirschten.
    Und in diesem Moment verspürte er es zum ersten Mal. Eine Bewegung. Hauchfein. Ein Vibrieren, das von dem Schiff ausging. Kurz nur. Ein sanfter Impuls. Beinahe wie ein Herzschlag, der sich vom Schiffsrumpf über die Wellen auf Simons Boot übertrug und schließlich dessen ganzen Körper

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