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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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ist.«
    »Nein!« widersprach Meg. »Das spüre ich nicht, und ich will es auch nicht spüren.«
    »Ob man etwas will oder nicht, ändert nichts an den Tatsachen. Charles Wallace ist … so, wie er ist. Und was er ist. Anders. Er ist – neu.«
    »Neu?«
    »Ja. Ich weiß, das Wort klingt in diesem Zusammenhang etwas seltsam. Aber Vater und ich haben kein besseres gefunden.«
    Meg hatte den Bleistift so fest umklammert, daß er ihr zwischen den Händen zerbrach. Sie lachte bitter. »Da hast du‘s wieder! Dabei will ich gar nichts kaputtmachen. Im Gegenteil. Ich möchte, daß alles klar und richtig und verständlich ist.«
    »Ich weiß.«
    Meg überlegte wieder.
    »Charles Wallace sieht doch überhaupt nicht anders aus!« sagte sie schließlich.
    »Nein, Meg. Aber nie darf man Menschen allein nach ihrem Äußeren beurteilen. Was Charles Wallace so anders macht, liegt nicht an seinem Aussehen, sondern in seinem Wesen.«
    Meg seufzte tief, nahm die Brille ab, ließ sie hin und her pendeln und setzte sie wieder auf. »Na schön. Dann weiß ich eben, daß Charles Wallace anders ist, daß er mehr ist als ich; und ich muß das wahrscheinlich einfach zur Kenntnis nehmen, auch wenn ich es überhaupt nicht begreifen kann.«
    Frau Murry lächelte ihr zu. »Siehst du; genau das wollte ich zuvor andeuten.«
    »Ja?« Meg hatte ihre Zweifel.
    »Ja. Wirklich.« Mutter lächelte immer noch. »Vielleicht war ich seinetwegen heute nacht nicht wirklich überrascht, als plötzlich diese Frau Wasdenn zur Tür hereingeschneit kam. Und vielleicht bin ich seinetwegen immer wieder bereit – mag sein, gegen jede Vernunft – etwas nicht gleich für … für unmöglich zu halten: wegen Charles Wallace.«
    »Bist du wie Charles?«
    »Ich? Um Himmelswillen, nein! Ich habe zum Glück mehr Hirn und Verstand als viele andere Leute, aber nichts, absolut nichts an mir ist auch nur im geringsten ungewöhnlich.«
    »Doch«, sagte Meg. »Dein Aussehen.«
    Frau Murry lachte. »Dir fehlt bloß der richtige Vergleich, Meg. Ich bin eine ganz gewöhnliche, durchschnittliche Frau.«
    Calvin, der wieder ins Zimmer kam, sagte dazu bloß: »Ha, ha!«
    »Ist Charles im Bett?« fragte Frau Murry.
    »Ja.«
    »Was hast du ihm denn vorgelesen?«
    »Die Bibel. Aus der Genesis.«
    »Die Schöpfungsgeschichte?«
    »Hat er sich gewünscht. – Was war das übrigens für ein Versuch, Frau Murry, an dem sie heute nachmittag gearbeitet haben?«
    »Ach … ein Experiment, das mein Mann und ich ausgeheckt haben. Ich möchte damit gern ein Stück weiter sein, wenn er wieder zurückkommt.«
    Meg hatte kaum zugehört. Ihr fiel wieder ein, was Charles Wallace auf dem Rückweg vom Spukhaus zu ihr gesagt hatte.
    »Mutter«, nahm sie das Gespräch von zuvor wieder auf. »Charles Wallace hat heute behauptet, ich gehöre weder hierher, noch dorthin. Ich bin also wirklich weder Fisch noch Fleisch.«
    »Das ist ja zum Brüllen«, sagte Calvin. »Menschenskind! Du bist Meg! Kapiert? – Komm, gehen wir noch ein bißchen vors Haus!«
    Aber Meg ließ sich nicht so einfach ablenken. »Und wie schätzt du Calvin ein, Mutter?« wollte sie wissen.
    Frau Murry lachte. »Muß ich ihn denn gleich einschätzen? Ich mag ihn. Er gefällt mir. Und ich freue mich über seinen Besuch.«
    Wieder wechselte Meg unvermittelt das Thema: »Mutter«, sagte sie, »du wolltest uns doch die Sache mit der Tesserung erklären!«
    »Ja.« Jetzt lachte Frau Murry plötzlich nicht mehr. »Aber nicht jetzt, Meg. Nicht jetzt. Calvin hat recht, ihr solltet noch einen kleinen Spaziergang machen. Ich werde inzwischen Charles gute Nacht sagen und mich darum kümmern, daß die Zwillinge endlich ins Bett kommen.«
    Draußen war das Gras naß vom Tau. Der Mond stand halbhoch am Himmel und ließ, so weit sein großer Dunsthof reichte, die Sterne erblassen.
    Calvin griff nach Megs Hand – so selbstverständlich und natürlich, wie heute nachmittag Charles Wallace.
    »Lag es an dir, daß deine Mutter vorhin plötzlich unruhig wurde?« fragte er vorsichtig.
    »Ich glaube nicht. Sie war bereits ziemlich durcheinander.«
    »Weshalb?«
    »Wegen … Vater.«
    Calvin zog Meg über den Rasen. Die Bäume warfen lange Schatten, und die Luft roch schwer und süß nach Herbst. Einmal stolperte Meg, als es plötzlich steil bergab ging, aber Calvin stützte sie. Sie hatten den Gemüsegarten der Zwillinge erreicht und mußten sich vorsichtig zwischen den Reihen von Kohlköpfen, Rüben, Broccoli und Kürbissen durchtasten. Zu ihrer Linken

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