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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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nur hierhergebracht, damit wir ihn finden, sondern auch, damit wir ihm helfen.«
    Er stieg die paar Stufen hinauf und klopfte an die Tür. Sie warteten. Nichts geschah. Dann entdeckte Charles Wallace einen Klingelknopf und drückte darauf. Sie konnten hören, wie im Haus die Glocke schrillte. Das Läuten lief wie ein Echo durch die ganze Gasse.
    Einen Augenblick später öffnete die Mutterpuppe die Tür. In allen Häusern ging zugleich die Tür auf, wenn auch bloß einen Spalt breit, und Mütterpuppen guckten heraus und beäugten lauernd die drei Kinder und die Frau, die an der Schwelle stand und ihnen ängstlich entgegenstarrte.
    »Was wollt ihr?« fragte sie. »Es ist noch nicht Zeitungsaustragezeit, und die Milchverteilzeit ist schon vorbei. Die Meinungskontrolle war in diesem Monat bereits bei uns, und mein Pflichtopfer habe ich regelmäßig geleistet. Auch alle meine Papiere sind ebenfalls in Ordnung.«
    »Ich glaube, Ihr Junge hat seinen Ball verloren«, sagte Charles Wallace und hielt ihn ihr entgegen.
    Hastig stieß die Frau den Ball fort. »Nein! Nein!« rief sie. »Die Kinder in unserem Sektor lassen nie ihre Bälle fallen. Sie haben alles bestens geübt. Bei uns hat es seit drei Jahren nicht die geringste Abweichung gegeben.«
    Straßenauf, straßenab nickten alle Köpfe eilfertig ihre Zustimmung.
    Charles Wallace trat einige Schritte auf die Frau zu und blickte an ihr vorbei ins Hausinnere. Im Schatten der Diele stand der Junge; er war etwa in Charles‘ Alter.
    »Ihr dürft nicht hereinkommen«, sagte die Frau. »Ihr habt mir keine Papiere gezeigt. Ohne Papiere darf ich euch nicht einlassen.«
    Charles Wallace hielt den Ball so an der Frau vorbei, daß der Junge ihn sehen konnte. Blitzschnell sprang der Kleine vor, schnappte Charles den Ball aus der Hand und huschte in den Schatten zurück. Die Frau wurde kreidebleich. Sie riß den Mund auf, als wolle sie etwas sagen, warf ihnen aber statt dessen die Tür vor der Nase zu. Die ganze Straße entlang knallten die Türen ins Schloß.
    »Wovor haben die Leute Angst?« fragte Charles Wallace. »Was ist nur in sie gefahren?«
    »Weißt du es denn nicht?« wandte sich Meg an ihn. »Kannst du dir gar nicht denken, was hier geschieht?«
    »Noch nicht«, sagte Charles Wallace. »Noch tappe ich völlig im dunkeln. Und dabei zerbreche ich mir ohnedies schon die ganze Zeit den Kopf. Aber es kommt nichts dabei heraus. Nicht das geringste. – Nun ja, gehen wir weiter!«
    Ein paar Straßen weiter machten die Reihenhäuser Wohnblocks Platz; Meg dachte jedenfalls, daß es sich um Wohnblocks handeln mußte. Es waren hohe Gebäudequader, vollkommen schmucklos, und jedes Fenster, jeder Eingang glich aufs Haar den anderen.
    Auf der Straße kam ihnen ein Junge entgegen. Er war etwa in Calvins Alter und fuhr auf einem Rad; offenbar einer Kombination aus einem Fahrrad und einem Moped, das von einer unsichtbaren Kraftquelle angetrieben wurde; denn obwohl der Junge nur langsam in die Pedale trat, sauste das schnittige Rad mit beachtlicher Geschwindigkeit dahin. Immer, wenn er an einem Hauseingang vorbeikam, langte der Junge in seine Schultertasche, holte eine Papierrolle heraus und warf sie zielgenau in die Einfahrt. So hätten ebensogut Dennys oder Sandy oder irgendein anderer Junge irgendwo auf der Erde in irgendeiner Stadt die Zeitung austragen können – und doch war auch an dieser Sache etwas faul, so wie bei den Kindern mit den Bällen und den Springschnüren … Es lag an der Gleichmäßigkeit der Bewegungen! Sie blieben absolut unverändert. Die Zeitungen flogen überall in exakt gleichem Bogen durch die Luft und landeten in den Einfahrten überall exakt an der gleichen Stelle. Es war schlichtweg unvorstellbar, daß jemand solche Geschicklichkeit mit derartiger Präzision verbinden konnte.
    Calvin stieß einen leisen Pfiff aus. »Wie die hierzulande wohl erst Basketball spielen müssen!« sagte er.
    Als der Junge die drei Fremden sah, fuhr er erst langsamer und hielt schließlich das Rad an. Seine Hand, die eben zur Schultertasche gegriffen hatte, verharrte regungslos in der Luft. »Was hat denn das Grünzeug auf der Straße zu suchen?« herrschte er sie an. »Um diese Zeit dürfen nur Zeitungsjungen unterwegs sein; das wißt ihr doch.«
    »Nein«, sagte Charles Wallace. »Das wissen wir nicht. Wir sind nämlich fremd hier. Würdest du daher bitte so freundlich sein und uns etwas über diese Stadt verraten?«
    »Aber eure Einreisepapiere sind doch wohl in Ordnung?«

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