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Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

Titel: Die Zeitfalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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einem Raum in den anderen, ohne sich um die schlenkernden Perlenschnüre zu kümmern. Vielleicht ließ sich die Umordnung der Atome beim Passieren der Wände auf ähnliche Weise erklären?
    »Lege deine Arme um meinen Hals, Meg!« sagte Herr Murry. »Drücke dich ganz eng an mich. Schließe die Augen und hab keine Angst!«
    Er hob sie hoch; Meg schlang ihre Beine um seine Hüften und klammerte sich fest an seinen Hals.
    Mit der Brille von Frau Diedas hatte sie beim Eindringen in die Säule nur schwach die Kälte und Dunkelheit gespürt. Ohne die Brille empfand sie aber jetzt dieselbe lähmende Kälte, die sie beim Tessern durch den schwarzen Schatten von Camazotz so schrecklich gepackt hatte. Das Schwarze Ding – was immer es auch sein mochte, dem sich Camazotz ergeben hatte – hüllte den Planeten nicht nur ein; es durchdrang ihn auch. Und jetzt wollte sie diese eisige Macht auch den Armen ihres Vaters entreißen. Meg versuchte zu schreien, aber in dieser entsetzlichen Kälte konnte sich kein Laut behaupten.
    Die Arme ihres Vaters schlossen sich noch fester um sie, und Meg hing so heftig an seinem Hals, daß sie ihn beinahe würgteaber die Angst hatte allen Schrecken verloren. Meg wußte, daß Vater bei ihr bleiben, daß er sie nicht verlassen würde, sollte es ihm nicht gelingen, die Wand zu durchstoßen. Seine Arme gaben ihr Sicherheit.
    Und dann waren sie draußen. Vor ihnen, mitten in der Zelle, ragte die Säule auf, kristallklar – und leer.
    Meg mußte blinzeln. Sie konnte Vater und Charles Wallace nur als verschwommene Umrisse erkennen und fragte sich, warum alles so undeutlich war. Dann endlich fischte sie ihre eigene Brille aus der Tasche und setzte sie auf. Jetzt sahen ihre kurzsichtigen Augen die Umgebung wieder in gewohnter Schärfe.
    Charles Wallace stampfte unwillig mit dem Fuß auf. »ES ist ungehalten!« sagte er. »ES ist äußerst ungehalten.«
    Herr Murry setzte Meg vorsichtig ab und kniete sich zu dem kleinen Jungen. »Charles!« sagte er zärtlich. »Charles Wallace!«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich bin es, Charles. Dein Vater. Schau mich an!«
    Die stumpfen blauen Augen starrten ins Leere. »Ach so«, sagte er aufsässig. »Hallo, Paps.«
    »Das ist nicht Charles Wallace!« rief Meg verzweifelt. »Vater, Charles würde sich nie so aufführen! ES hat ihn in seiner Gewalt.«
    »Ja«, sagte Herr Murry müde. »Ja. Das muß ich wohl annehmen.« Er streckte ihm die Arme entgegen. »Komm zu mir, Charles.«
    »Vater wird alles wieder in Ordnung bringen!« dachte Meg.
    Charles ging nicht auf die ausgestreckten Arme zu. Er hielt einen Schritt Abstand und senkte den Blick.
    »Schau mich an!« befahl Herr Murry.
    »Nein.«
    Seine Stimme wurde schneidend hart. »Das heißt: ›Nein, Vater!‹« wies er ihn zurecht.
    »Den Ton kannst du dir sparen«, erwiderte er – er, Charles Wallace, der sich außerhalb von Camazotz vielleicht manchmal etwas ungewöhnlich, geradezu seltsam verhalten hatte, aber nie frech gewesen war. »Du bist hier nicht der Boß!«
    Meg sah, daß von draußen Calvin gegen die durchsichtige Wand hämmerte.
    »Calvin!« rief sie ihm zu.
    »Er kann dich nicht hören«, sagte Charles, verhöhnte ihn mit einer Grimasse und zeigte ihm die lange Nase.
    »Wer ist Calvin?« wollte Herr Murry wissen.
    »Er ist … « begann Meg, aber Charles Wallace schnitt ihr das Wort ab.
    »Das kannst du ihm später erzählen«, sagte er. »Wir gehen jetzt.«
    »Wohin?«
    »ES erwartet uns.«
    »Nein«, widersprach Herr Murry. »Du kannst Meg nicht zu ihm bringen.«
    »Oh, doch.«
    »Nein. Du bist mein Sohn, Charles, und wenn ich dir etwas gebiete, mußt du wohl oder übel gehorchen.«
    »Aber er ist nicht Charles!« rief Meg verzweifelt. Warum konnte er das nicht endlich begreifen? »Charles ist nicht so, Vater! Du weißt doch, daß er anders ist!«
    »Als ich fort mußte, war er noch ein Baby … « sagte Herr Murry traurig und unsicher.
    »Vater, ES spricht aus Charles. Aber ES ist nicht Charles. ES hat … ES hat ihn verhext!«
    »Schon wieder diese Ammenmärchen!« höhnte Charles.
    »Kennst du ES, Vater?« fragte Meg.
    »Ja.«
    »Hast du ES gesehen?«
    »Ja, Meg.« Wieder klang seine Stimme erschöpft. »Ja, ich habe ES gesehen.« Er wandte sich an Charles. »Du weißt, daß sie das nicht durchstehen könnte.«
    »Klar weiß ich das«, sagte Charles.
    »Vater, du kannst nicht mit ihm reden, als wäre er Charles! Frag Calvin; er wird es dir bestätigen.«
    »Kommt endlich!« sagte Charles

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