Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
verfolgte seinen Gegner unnachgiebig, und um mit den schnell zurückweichenden Feinden Schritt halten zu können, brachen die Weströmer sogar mit ehernen Traditionen. Die Legionäre hatten ihr Schanzzeug am Lacus Asphaltites zurückgelassen, man verzichtete auf die Errichtung der Marschlager am Ende eines jeden Tages. Auch an den römischen Soldaten gingen die Mühen nicht spurlos vorüber. Sie waren erschöpft, die Hitze forderte ihren Tribut, manche starben. Doch keiner von ihnen verdurstete, und die Aussicht, schon bald im Herzen Persiens vor der Hauptstadt Ctesiphon zu stehen und einem jahrhundertealten Albtraum ein Ende bereiten zu können, trieb die Männer vorwärts.
»Ein hoher Offizier«, sagte Marcus Aventinius beiläufig, als er an der Seite von General Victor an einer verkrümmt zwischen Felsen liegenden Leiche vorüberritt. Ein Speer steckte tief im Brustkorb des Toten, die seidenen Gewänder waren zerfetzt und blutverkrustet; eine Horde Geier, die sich gestört fühlte, ließ vom Körper ab und flatterte mit unwilligem Kreischen auf.
»Wenn selbst die persischen Adligen nicht mehr sicher davor sind, von ihren eigenen Männern auf diese Weise ermordet zu werden, ist das Ende nah«, meinte Victor. Er blickte durch den Accederus. Am östlichen Horizont hing eine schmutzig gelbe Staubwolke und zeigte weithin sichtbar, wo sich die immer weiter schrumpfende Masse der Geschlagenen durch die Wüste wälzte. Dafür, dass die flüchtenden Perser nicht in alle Himmelsrichtungen auseinanderliefen, sorgten die pausenlosen Attacken der oströmischen Reiterei. General Aventinius drängte sich der Vergleich mit Hütehunden auf, die eine Schafherde zusammenhielten.
»Es ist grausam«, sagte Victor angesichts der Toten, deren Körper über die vor Hitze flimmernde Ebene verteilt lagen, so weit das Auge reichte. »Aber was bleibt uns anderes übrig?«
»Nichts«, antwortete Aventinius und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht, »und gerade das macht es so schlimm. Gott ist mein Zeuge, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Rom ohne diese Leichenberge von der Persergefahr zu befreien – ich würde keinen Augenblick zögern, diese Tragödie zu beenden. Aber es gibt keinen anderen Weg. In gewisser Weise sind wir in einer ähnlichen Lage wie die Männer, die wir durch die Wüste treiben. Sie fliehen ostwärts, weil das der einzige Weg ist, der ihnen bleibt. Aber gleichzeitig verfolgen wir sie, weil es der einzig mögliche Weg ist, der uns offensteht. Wir sind alle Gefangene gnadenloser Zwänge.«
»Mit dem Unterschied, dass sie dabei zugrunde gehen«, erwiderte General Victor.
Marcus Aventinius kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Nennt mich abergläubisch, Victor … doch mit jeder Meile, die wir Ctesiphon näher kommen, wird in mir ein merkwürdiges Gefühl stärker. Es klingt absurd, ich weiß … aber es ist fast, als würden wir in die falsche Richtung marschieren …«
Sie ließen den Körper des persischen Offiziers hinter sich zurück. Sogleich kehrten die Geier wieder und ließen sich heiser krächzend nieder, um ihre grausige Mahlzeit fortzusetzen, ohne sich durch die vorbeiziehenden Legionäre im Geringsten dabei stören zu lassen.
33
Nahe Argentorate
Auf der Straße in Richtung Süden
Selbst ein naiver und oberflächlicher Beobachter hätte auf einer Reise durch das Frankenreich festgestellt, dass sich ein Sturm ankündigte. Und für Franklin und Andreas waren die Vorgänge, deren Zeugen sie wurden, geradezu ein offenes Buch. Seitdem sie aus Sachsen zurückgekehrt und von Colonia den Rhein entlang südwärts geritten waren, hatten sie Kolonnen fränkischer Kavallerie gesehen, die gleichfalls nach Süden zogen. Fast immer ritten den Einheiten die Fahnenträger mit den Feldzeichen voraus, und durch die auf dem Flaggentuch eingestickten Namen der Heimatprovinzen wusste Andreas bald, dass die Reiterei aus allen Teilen des Frankenreiches zusammenströmte. Es konnte dafür keinen anderen Grund geben, als dass Karl sich für den Krieg entschieden hatte. Die Zeit wurde knapp, falls überhaupt welche verblieb.
Die Gegend südlich von Argentorate glich einem einzigen großen Heerlager. Hier sammelten sich die Truppen, und über die Straßen bewegte sich ein endloser Strom von Bauernkarren, um die Soldaten mit Nahrung und ihre Pferde mit Hafer zu versorgen. Niemand unter den Franken schien sich Gedanken darüber zu machen, den Aufmarsch geheim zu halten, alles
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