Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
scheuchten und notfalls mit Stockhieben nachhalfen. Andreas konnte aber keine Anzeichen für größere Truppenbewegungen erkennen, und bei einer Rast kam er mit einem fränkischen Offizier ins Gespräch, der ihm verriet, dass sich ein Teil des fränkischen Heeres immer noch in Sachsen befand. An der Elbe, dem Grenzfluss zu Abotritien, gab es demnach immer wieder kleinere Unruhen, und diesem Zustand sollten Karls Soldaten ein Ende setzen.
In Bingium ließ Andreas den Rhein hinter sich zurück und folgte der Straße westwärts über dunkel bewaldete Höhenzüge und karge, weite Hochebenen, über die selbst in der herrlichen Frühlingssonne ständig raue Winde strichen.
Die kleinen Orte, die er durchquerte, spiegelten den Charakter der Landschaft mit ihrer herben Ärmlichkeit, in Dumnissus und Tabernae genauso wie in Sauromata und einem guten Dutzend anderer Dörfer. Umso überwältigender war daher der Eindruck, als die Straße schließlich aus einem finsteren Tannenwald trat und sich ein herrlicher Blick hinab in das Moseltal offenbarte. Zwischen den weinbestandenen Berghängen schlängelte sich die Mosel als blaues Band durch grüne Wiesen und reflektierte glitzernd das Sonnenlicht.
Aber es war Andreas nicht vergönnt, diesen Anblick lange zu genießen. Er hatte unten im Tal eine Ortschaft bemerkt, in deren unmittelbarer Nähe sich ein recht großer, rechteckiger, ummauerter Gebäudekomplex befand, der sehr an eine Festung römischer Bauart erinnerte. Andreas entfaltete rasch die pergamentene Straßenkarte, um zu sehen, oberhalb welchen Ortes er sich gerade befand. Der Karte zufolge handelte es sich um Noviomagus, und das bedeutete, dass die Festung nicht nur römisch aussah. Sie war eines der Kastelle, mit denen der große Imperator Konstantin die Grenze zu Germanien noch einmal hatte sichern können. Das war mittlerweile weit über vierhundert Jahre her, doch die Mauern und Kasernenbauten wirkten durchaus nicht wie Ruinen. Andreas zog aus der Satteltasche ein Lederfutteral, dem er ein Messingrohr von etwas über einem Fuß Länge entnahm. Unglaublich!, dachte er, während er das Rohr ans Auge hob. Bis mir Marcellus Sator dieses Ding gegeben hat, wusste ich nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt. Dieser Accederus ist einfach phantastisch! Sorgfältig geschliffene Linsen, die in beide Enden des Rohrs eingepasst waren, ließen zum Greifen nah erscheinen, was in Wirklichkeit weit entfernt war. Diese Geräte waren weder teuer noch übertrieben schwer herzustellen, aber sie wurden als militärisches Geheimnis behandelt, denn wer im Krieg den Gegner zuerst bemerkte, hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Der Präfekt hatte Andreas einen der streng geheimen Accederen anvertraut und ihm eingeschärft, das Futteral vor der Grenzüberquerung unter der Kleidung zu verstecken. Eine sinnvolle Maßnahme, wie die Gepäckkontrolle gezeigt hatte.
Der Blick durch die Linsen bestätigte Andreas’ Vermutung. Die Festung Noviomagus war keinesfalls verlassen, ganz im Gegenteil. Über dem Haupttor wehte die fränkische Standarte mit dem schwarzen Adler auf gelbem Grund, genauso wie über dem Praetorium. Auf einer großen Wiese vor dem Kastell übten manche Soldaten sich im Schwertkampf, andere im Bogenschießen, während mehrere Gruppen Panzerreiter unter dem Gebrüll ihrer Unteroffiziere den Wechsel der Gefechtsformationen endlos wiederholen mussten. Er war überrascht, hier schwere Kavallerie vorzufinden, denn bisher hatte es im Imperium als selbstverständlich gegolten, dass die Franken zwar gute Fußsoldaten waren, den Kampf zu Pferde aber scheuten. Andreas beschloss, sich diese Panzerreiter bei Gelegenheit näher anzuschauen. Dann steckte er den Accederus wieder in die Lederhülle, verstaute diese in der Satteltasche und ritt weiter die Straße entlang, die sich jetzt in Serpentinen durch die Weinberge zur Mosel hinabschlängelte.
Der Anblick, den Argentorate, Mogontiacum und die übrigen Städte geboten hatten, durch die Andreas Sigurdius auf seiner Reise gekommen war, hatte ihn schon frühzeitig gewarnt, sich keine Illusionen über Trevera, die Hauptstadt des Frankenreiches, zu machen. Überall waren die alten römischen Ortschaften in einem furchtbaren Zustand, ihre Bauten aus imperialer Zeit manchmal Ruinen, meistens heruntergekommen und zweckentfremdet. In Mogontiacum hatte er sehen müssen, wie das Denkmal des großen Feldherrn Drusus allen wertvollen Materials entkleidet als Wachturm herhalten musste, und in
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