Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
wird die zahlenmäßige Unterlegenheit hoffentlich wenigstens teilweise ausgleichen.«
Der Imperator studierte die auf dem Tisch ausgerollte Landkarte des Grenzgebiets zwischen Persien und dem Oströmischen Reich. Die Absicht des Feindes lag klar zutage: Die gewaltige Kriegsmacht des Shahinshah sollte Armenien durchqueren und sich dann quer durch Anatolien wälzen, nach Konstantinopel. Die Vernichtung der römischen Vorposten sollte dem Imperium die Augen nehmen, damit ihm der persische Angriff möglichst lange verborgen blieb. Aber der persische Plan war fehlgeschlagen.
»General Victor«, sagte Rufus, ohne den Blick von der Karte zu lassen, »wie schnell können wir die Legionen verschiffen? Wir dürfen keinen Tag verschenken.«
»Imperator, alles läuft reibungslos!« Der untersetzte General mit den schütteren grauen Haaren warf einen Blick auf seine Notizen und fuhr fort: »Die neun Legionen, die für den Feldzug vorgesehen sind, werden zur Stunde auf die Schiffe verladen. Wenn uns, Gott behüte, kein Unwetter heimsucht, können sich die einzelnen Flotten in vier Tagen vor Syracusae vereinigen. Zwei Wochen danach werden unsere fünfundfünfzigtausend Mann in Trapezus an Land gehen. Bis dahin werden die östlichen Truppen sicher die Perser aufhalten können. Wie Ihr schon gesagt habt, Imperator, sie rechnen ja gar nicht mit Widerstand.«
Jetzt meldete sich auch Paulus Deperirus, der Militärtribun, zu Wort. »Und was, wenn Konstantins Armee doch geschlagen wird? Die Perser könnten ungehindert nach Konstantinopel vorstoßen, und unsere Ankunft würde daran überhaupt nichts mehr ändern.«
»Ich sehe darin kein Problem, Tribun«, erwiderte Siegericus. »Das ist schließlich Shahinshah Chrosoes vor hundertsiebzig Jahren auch gelungen. Seine Soldaten standen auf der anderen Seite des Bosporus, aber es nützte ihnen nichts. Sie konnten Konstantinopel nicht angreifen, nicht einmal belagern. Und die Versorgung der Stadt mit ägyptischem Getreide lief auf dem Seeweg weiter wie zu Friedenszeiten. Den Persern fehlte damals eine Flotte, und sie fehlt ihnen auch heute wieder. Falls sich diese Situation wirklich wiederholen sollte, wird das Ostreich genau wie damals in aller Ruhe frische Truppen in den europäischen Themen und dem unbesetzten Teil Anatoliens ausheben, mit denen es dann diese Teufelsbrut in ihr gottverfluchtes Land zurückjagt. Und diesmal müssen unsere Truppen auch nicht die Bulgaren an der Donaugrenze in Schach halten, wir können das östliche Heer aktiv ergänzen!«
General Victor nickte zustimmend. Aber jetzt räusperte sich Marcellus Sator, der bislang ruhig an einem Kopfende des Kartentisches gestanden hatte.
»Onkel Marcellus«, sagte der Kaiser, »mir scheint, Ihr möchtet uns etwas sagen?«
»Mit Verlaub, Imperator«, antwortete der Föderatenpräfekt eindringlich, »ich halte es für unklug, neun unserer zehn regulären Legionen abzuziehen. Ich habe Euch schon mehrfach vor den Franken …«
General Siegericus schnaubte entnervt. »Nicht schon wieder! Präfekt, Ihr seht Gespenster! Eure fränkische Bedrohung, für die es im Übrigen nicht den geringsten greifbaren Beweis gibt, wird bei Euch langsam zu einer fixen Idee.«
»Ich möchte es zwar nicht wie Siegericus ausdrücken«, unterbrach der Kaiser den General, »aber es stimmt leider. Die Bedrohung durch Karl könnt Ihr nur aus einigen verworrenen Schriftstücken herleiten. Der persische Angriff auf Armenien hingegen ist eine Tatsache, auf die wir reagieren müssen. Und wenn –«
Marcellus schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Zum Teufel, Karl ist auch eine Tatsache! Sind hier denn alle zu blind, um das zu erkennen?«
Rufus fixierte seinen Onkel mit starrem Blick und sagte, ohne die Augen von ihm abzuwenden: »Meine Herren, ich möchte mit Marcellus Sator unter vier Augen sprechen. Begebt Euch nach Portus Romae, um die Verladung der I. und III. Legion zu beaufsichtigen, ich werde morgen nachkommen.«
Die Generale zögerten eine Sekunde, dann salutierten sie und verließen den Raum. Als sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, fuhr Rufus seinen Onkel zornig an. »Was ist bloß in dich gefahren? Dieser peinliche Auftritt, was sollte das? Was bezweckst du damit eigentlich?«
Marcellus atmete tief ein und antwortete dann ruhig: »Rufus, ich bin besorgt, sehr besorgt. Nicht um mich oder meine Stellung, sondern um das Imperium. Kannst du das nicht verstehen? Angenommen, die Franken griffen wirklich an, während fast das
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