Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
beeindruckte ihn auch nicht besonders. Er hatte vermutet, dieser Einhard wäre eine Art Vorsteher des königlichen Haushalts.
»Nein«, log Andreas, »wer soll das sein?«
»Der mächtigste Mann des Reiches – nach dem König, versteht sich. Soviel ich weiß, hat der König ihn vor gut zwölf Jahren aus der Abtei Fulda hierher geholt und ihn nach und nach befördert. Man sagt, er sei unglaublich klug und es gebe nichts in diesem Land, wo er nicht seine Finger drin habe.«
»Und das gibt Euch Grund genug, zu vermuten, dass Einhard für die gesperrte Straße verantwortlich ist?«, sagte Andreas grinsend, während die Wirtin eine Schüssel Brei vor Beowulf auf den Tisch stellte.
»Was heißt hier vermuten?«, antwortete der Bajuware, aß einen Löffel Haferbrei und sprach dann weiter. »Ich weiß es. Ich habe eben im Stall einen Reiterboten getroffen, und der hat mir erzählt, dass die Straße nach Aachen seit über zwei Jahren von Soldaten der Scara versperrt ist. Damit Ihr’s wisst, die Scara ist die Leibgarde des Königs, und sie untersteht Einhard. Wie würdet Ihr Römer sagen? Quod erat demonstrandum, richtig?«
Andreas nickte nur stumm. Sollte sich dahinter etwas verbergen? Er überlegte, musste jedoch erkennen, dass er noch zu wenig wusste, um Schlussfolgerungen zu ziehen.
»Na schön«, sagte Beowulf, nachdem er die Schale Brei geleert hatte, »ich werde wohl in den sauren Apfel beißen müssen. Ich wünsche Euch, dass Eure Reise zu den Spuren des Römischen Reiches gut verläuft, lebt wohl.« Er stand auf und schüttelte Andreas nach fränkischer Art die Hand zum Abschied. Der Ostgote wünschte ihm alles Gute und dass der Umweg nicht allzu unerfreulich sein möge. Dann verließ Beowulf die Gaststube.
Kaum dass der Bajuware gegangen war, betrat Aethelred den Raum, sodass es fast so aussah, als hätte er diesen Moment hinter der Tür wartend abgepasst. Fast übertrieben gut gelaunt wünschte er Andreas einen guten Morgen und setzte sich auf den Platz, den eben noch Beowulf innegehabt hatte.
Die Wirtin brachte auch ihm eine Schale Haferbrei, und Andreas beobachtete ihn, während er aß. Ich spüre, dass mit diesem Angelsachsen etwas nicht stimmt, dachte er, aber was? Ich habe dieses Gefühl gestern schon einmal gehabt … wenn ich mich doch nur erinnern könnte, was der Grund dafür war …
Andreas kratzte sich nachdenklich am Kinn und zuckte zusammen; er hatte versehentlich mit dem Fingernagel einen der Schnitte gestreift, die er sich bei Rasieren zugezogen hatte. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, was an Aethelred ungewöhnlich war: Er war perfekt glatt rasiert.
Wie hat er das fertiggebracht? Keine einzige Wunde, und dabei muss er sich vor Kurzem frisch rasiert haben. Aber nicht mit dem kalten Brunnenwasser wie ich, sonst hätte er sich zwangsweise schneiden müssen, selbst der beste Barbier könnte das nicht verhindern.
Eine Ungeschicklichkeit vortäuschend, ließ Andreas seinen Löffel fallen. Er beugte sich unter den Tisch, um ihn wieder aufzuheben, und konnte so einen Blick auf Aethelreds Lederstiefel werfen. An ihnen klebten getrocknete Reste von Straßenschlamm, aber kein frischer Schmutz.
Andreas richtete sich wieder auf und dachte nach. Du bist so gut rasiert, wie es nur ein Barbier machen kann. Aber du hast die Herberge seit gestern garantiert nicht verlassen, du kannst nicht einmal im Hof gewesen sein. Wie hast du das gemacht, Angelsachse?
Er betrachtete Aethelred jetzt mit größerer Aufmerksamkeit, und nun fielen ihm noch mehr Dinge auf. Die kurzen, sauberen Fingernägel, auf deren Pflege in den barbarischen Ländern sonst kein Wert gelegt wurde. Und die Zähne. Sie waren geradezu unnatürlich ebenmäßig und weiß; selbst ein Bildhauer hätte sich nicht getraut, einer Statue von idealer Schönheit derartig unglaubwürdig gute Zähne zu verleihen, wie sie selbst im Imperium nicht zu finden waren. Wie hätte dann erst ein Angelsachse zu solch einem perfekten Gebiss kommen sollen? Nun fiel Andreas auch wieder ein, was ihn am Abend zuvor unbewusst stutzig gemacht hatte: Obwohl er sich als Ostgoten und somit als Weströmer zu erkennen gab, hatte Aethelred auf die Frage, ob er schon das Imperium bereist hätte, geantwortet, er sei noch nie in Konstantinopel gewesen. Diese Reaktion war, das wurde Andreas jetzt erst bewusst, völlig unlogisch. Warum hatte der Angelsachse diese Antwort gegeben?
»Ihr scheint heute Morgen ziemlich nachdenklich gestimmt zu sein«, sagte Aethelred
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