Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
die lästigen Insekten scharenweise angezogen wurden.
Am späten Nachmittag steckte Franklin den Accederus schließlich in das dazugehörige Futteral zurück, und Andreas meinte, so etwas wie Anerkennung in der Art zu hören, wie er sagte: »Die Burschen sind wirklich gut. Der Turnus, in dem die Wachen auftauchen, ist nicht abzuschätzen, und auf den Türmen stehen Bogenschützen, die vermutlich von da oben sogar ein laufendes Kaninchen treffen würden. Es ist völlig unmöglich, bei Tageslicht an denen vorbeizukommen, schon gar nicht lebend. Wie gesagt, bei Tageslicht …«
Andreas stutzte. »Du hast doch wohl nicht vor, den Zaun bei Nacht zu überwinden? Wir könnten in eine Patrouille laufen, die wir vorher nicht gesehen haben. Ganz abgesehen von dem Risiko, in Fallen zu treten oder in den Graben zu fallen und uns die Beine zu brechen.«
»Du unterschätzt wieder einmal die im zwanzigsten Jahrhundert zur Verfügung stehenden Möglichkeiten«, erwiderte Franklin geheimnisvoll. »Warte nur ab, bis es dunkel ist, dann habe ich eine Überraschung für dich.«
Andreas nickte, blieb aber skeptisch. Er hatte ja mittlerweile an manchem Beispiel gesehen, dass in jener fremden Welt viel Wundersames existierte. Aber im Dunkeln zu sehen, das war schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.
Captain Vincent schaute durch das Fernglas in die langsam in bläulicher Dämmerung versinkende Landschaft. Er wusste, dass er Andreas durch seine vorgetäuschte Konzentration vom Sprechen abhielt, und das war ihm auch ganz recht so. In Wahrheit gab er nur vor, die Szenerie eingehend zu beobachten, um ein wenig Ruhe zu haben.
Ihm war bewusst, in was für einer bizarren Situation er sich befand; er war in einer Welt, die es eigentlich gar nicht geben sollte; er war dort, um seine Welt davor zu bewahren, nie zu existieren. Er hätte sich nie träumen lassen, je in eine solche Lage zu geraten, als er nach dem Ende des Studiums zum Entsetzen der gesamten Familie zur Air Force ging, wo er nach einer endlos scheinenden Ausbildung endlich im Pilotensitz einer F-14 Platz nehmen durfte. Aber ein Splitter einer irakischen Flakgranate hatte seiner Flugtauglichkeit ein jähes Ende bereitet, und er war bereits kurz davor, ein Schicksal zu akzeptieren, das ihn dazu verdammte, als Verwaltungsoffizier hinter einem Schreibtisch in New Mexico, Südkorea oder Guam zu verfaulen. Da erfuhr er zu seiner Überraschung, dass sein Abschluss in europäischer Geschichte für die Air Force von Wert war. Noch während er im Lazarett in Italien lag, war ein General Bruckenward an ihn herangetreten. Von diesem General hatte er nie zuvor gehört, und was dieser ihm unter der Auflage absoluter Geheimhaltung vorschlug, klang zunächst wie ein schlechter Scherz. Aber es war durchaus kein Scherz, als General Bruckenward ihm nahelegte, zur geheimsten Organisation der Air Force überzuwechseln: Zu NATE . Franklin Vincent, dem die ebenso unbestimmten wie phantastischen, Science-Fiction-artigen Ausführungen des Generals ungleich verlockender erschienen als dreißig Jahre hinter Aktenbergen, sagte zu. Und diese Entscheidung hatte er bisher nicht bereut.
Ganz im Gegenteil, er hatte seitdem einmalige Erfahrungen machen dürfen. Geschichte, das war für die meisten Menschen Wörter in dicken Büchern, von Leblosigkeit durchwehte Ruinen, Ausstellungsstücke in den Vitrinen der Museen. Aber er war bei so vielem selbst dabei gewesen, hatte Geschichte sehen, fühlen, hören und sogar schmecken können. Er hatte das Florenz der Renaissance kennengelernt und in Rom Michelangelo bei der Arbeit in der Sixtinischen Kapelle beobachten können. Er war anwesend, als der Sonnenkönig den Fortgang der Bauarbeiten in Versailles inspizierte, und wer konnte schon von sich behaupten, im Globe Theatre Shakespeare selber bei der Aufführung seiner Stücke auf der Bühne gesehen zu haben? Noch war es nicht an der Zeit, aber wenn es so weit war, würde NATE dafür sorgen, dass der Aufbewahrungsort seines bislang unbekannten Dramas um Wilhelm den Eroberer unauffällig dem richtigen Historiker zur Kenntnis gebracht wurde.
Rückblickend war Captain Vincent sehr zufrieden mit den vergangenen fünf Jahren, in denen er alleine oder mit einem Kameraden die Vergangenheit bereist hatte, auch wenn es manchmal nicht ungefährlich war. Während der Attacke der Leichten Brigade – die in Wirklichkeit noch weitaus schwachsinniger war, als die Militärhistoriker annahmen – hatte ihn eine verirrte russische
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