Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
den Unterricht.
Bei Patience bin ich mir nicht sicher. Zwar schaut sie die Lehrerin an, aber gleichzeitig zwirbelt sie an ihrem Haar herum, als wäre sie vollkommen in Träumereien versunken. Ich denke an meine eigene Schulzeit zurück. Nicht zuhören gab es bei uns nicht, und es gab auch keine Computer, die uns hätten ablenken können. Die Hände gehörten auf die Tischplatte, die Köpfe mussten nach vorn gerichtet sein. Wenn man gegen eine dieser Regeln verstieß, konnte das eine Nacht auf dem Sportplatz bedeuten. Für die ganze Klasse.
Die Pausenklingel schrillt los und hinter den Ziergardinen kommt Bewegung in die Schüler. Sie klappen ihre Bildschirme herunter, einige springen sofort auf. Wie jeden Tag ziehe ich mich zurück und verschwinde in den Nebenraum, der um diese Zeit leer ist. Lautlos schließe ich die Tür und schaue zu, wie Patience' Klassenkameraden einer nach dem anderen auf den Flur stürmen. Sie sind jetzt ein oder zwei Jahre jünger als ich, die Arme und Beine der meisten sehen viel zu lang und schlaksig aus. Ich hatte nie so eine Figur, was vielleicht am Training lag. Während sie altern, irgendwann erwachsen und nicht mehr so jung und kraftvoll sein werden, behalte ich den Körper einer Siebzehnjährigen.
Einer der Schüler, ein pickliger Junge, schaut in meine Richtung und ich ducke mich. Meine Reflexe sind perfekt trainiert. Wenn ich nicht gerade abgelenkt oder aus irgendeinem Grund benommen sein sollte, werde ich immer schneller sein als jeder Lehrer und jeder Schüler auf dem ganzen Internat.
Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich Patience und ihre Freundinnen an mir vorbeigehen, die rothaarige Adella und Rhoda, die blond ist wie Patience, ihr Haar aber deutlich kürzer trägt. Die Mädchen stecken die Köpfe zusammen und tuscheln über irgendetwas. Ich kann nur hoffen, dass es Patience keiner der Jungs aus der Klasse angetan hat, denn wenn es soweit sein sollte, werden die Dinge kompliziert. Nein, unangenehm trifft es wohl eher.
Auch aus den anderen Klassenräumen links und rechts kommen jetzt Schüler; auf dem Gang werden sie zu einem dichten Strom und ich kann Patience nicht mehr sehen. Ich warte, bis die letzten Nachzügler aus dem Korridor verschwunden sind, dann verlasse ich den leeren Klassenraum und laufe los. Routiniert wende ich mich nach rechts und nehme denselben Schleichweg, der mir seit Jahren dazu dient, Patience nicht länger als nötig aus den Augen zu lassen. Zwar ist sie auf dem Internatsgelände zumindest tagsüber in Sicherheit, doch wie sagt ihr Vater immer so schön? Das Problem mit der Gefahr ist, dass sie unberechenbar ist.
Ich sprinte weiter bis zum Abstellraum, in dem die Putzfrauen ihre Sachen aufbewahren. Licht machen muss ich nicht, denn ich bin diesen Weg schon hundert Mal gegangen. Jede Bewegung, jeder Handgriff sitzt. Ich steige über die Eimer und Reinigungsgerätschaften hinweg, stoße die Klappe zum Lüftungsschacht auf. Dann schiebe ich mich mit den Füßen zuerst hinein, drehe mich auf den Bauch und hänge die Klappe wieder in ihre Verankerungen. Rückwärts robbe ich los, bis ich die erste Biegung erreiche. Dort kann ich mich umdrehen und komme nun schneller voran, trotz der stickigen Luft, der Enge und der Dunkelheit um mich herum. Ein paar Spinnweben hängen vor mir von der niedrigen Decke, ich wische sie beiseite. Penibel achte ich darauf, dass meine Schuhe nicht gegen das Metall des schmalen Schachts stoßen. Obwohl ich es eilig habe, muss ich leise sein, denn wenn mich ein Hausmeister oder einer der Lehrer entdecken würde, hätte ich ein ernstes Problem. Ich müsste erklären, was die Tierpflegerin im Lüftungsschacht zu suchen hat und ich fürchte, darauf gäbe es beim besten Willen keine logische Antwort.
Endlich erreiche ich das Ende und klettere aus dem Schacht, achte wieder darauf, dass ich ihn sorgfältig hinter mir verschließe. Nun bin ich in einem der Speisesäle, die wie immer um diese Zeit noch leer sind. Aus der Küche dringt schon ein schwerer, würziger Geruch, aber meine letzte Mahlzeit ist zu lange her, als dass ich den Duft erkennen könnte. Ich hätte es nie gedacht, doch wenn man nicht essen muss, verlässt einen auch der Appetit. Essen ohne Sinn macht keinen Spaß.
Ich schleiche an der Küchentür vorbei. Sie steht einen Spalt offen, dahinter huschen unzählige Gestalten in weißen Jacken hin und her. Wie immer sind sie zu beschäftigt, um mich zu bemerken. Keine zwei Stunden mehr, dann wollen allein in diesem Raum
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