Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Stapel Hochglanzmagazine, die als Nachttisch dienen, ist der Raum leer. Wieso bin ich bei Carissa? Und wo ist sie?
Ein Blick unter die Decke zeigt mir, ich bin angezogen, trage die Jeans und das graue Shirt des Vortages, auf dem sich ein getrockneter Wasserrand abzeichnet, meine Schuhe sind nass, ich streife sie ab. Aber warum sind sie das? Natürlich: Die Quelle, Kay, der Marker! Ich öffne meine Hand und blicke auf meine Lebenslinien, die durch keinen einzigen silbernen Faden durchkreuzt werden. Das verstehe ich nicht. Mit dem Finger der anderen Hand fahre ich seicht über die Innenfläche, kann aber nichts erspüren außer meiner Haut. Sie müssen mir den Marker entfernt haben. Das bedeutet, dass wir es geschafft haben! Ich habe es geschafft!
Carissas Haus liegt eine gute Stunde zu Fuß von unserem entfernt. Mit klopfendem Herzen steige ich aus dem Bett. Bald bin ich zu Hause und bei dem Gedanken an meinen goldgelockten Bruder schießen mir Tränen in die Augen. Vielleicht kann Mr White mich fahren. Ob er sich an das Mädchen erinnert, das in einen Apfelbaum geritzt hat? Kay wird er mit Sicherheit nicht vergessen haben. Als ich mir das Bild vor Augen rufe, wie mein Scout Mr White mit einer Ruhe und Leichtigkeit in Schach gehalten hat, wird mir schmerzlich bewusst, dass ich nichts über Kay weiß. Nichts, das mir helfen könnte, ihn zu finden, falls er oder sein Abbild überhaupt in meiner Realität existiert.
Unvermittelt kommt mir der Gedanke, dass ich mich vielleicht gar nicht im Jahr 2013 befinden könnte. In meiner Umgebung lässt nichts darauf schließen, dass es nicht auch 1973 oder 2021 sein könnte. Dieser schreckliche Gedanke hilft mir auf die Beine und ich gehe auf die Fotos zu. Vielleicht geben sie Aufschluss … Aber ein melodisches Klingen lässt mich innehalten. Auf dem Zeitschriftenstapel liegt Carissas neues iPhone, mit Perlmuttlackierung, ganz so, wie sie es mir vor gefühlten zehn Tagen beschrieben hat. Okay, nicht 1973. Ich nehme das Handy hoch, das sein Klingen etwas lauter werdend wiederholt.
Penelopes Konterfei erscheint groß auf dem Display, daneben ein kleines Videosymbol. Ich kann Penelope nicht ausstehen, sie ist furchtbar arrogant und oberflächlich und seit sie in einem Werbefilm für Frühstücksflocken mitgewirkt hat, reißen sich die meisten Mädchen in der Highschool um ihre Freundschaft. Ich weiß, Carissa trifft sich ab und zu mit ihr, aber nie, wenn ich dabei bin. Da mir jede Information wertvoll zu sein scheint, berühre ich Penelopes Stupsnase und der Bildschirm füllt sich mit einer verwackelten Großaufnahme ihres Gesichts.
»Alison!«, kreischt es mir entgegen. »Das war so cool letzte Nacht! Ich hab dir doch gesagt, wir greifen die Sonderedition ab, wenn wir früh genug da sind. Die anderen werden ultraneidisch sein. Aber scheiß auf sie! Wir sehen uns nachher am Strand, oki? Ich muss jetzt erst mal ne Runde schlafen, mein Agent sieht es nicht gern, wenn ich übernächtigt bin. Also, eine Millionen Küsschen und immer schön sauber bleiben!«
Penelopes Video zieht sich zu einem kleinen Quadrat zusammen und verschwindet. Zurück bleibt eine digitale Uhr unter der der 31. August 2013 angezeigt wird. Es ist 8.16 Uhr und irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht.
Ich lasse das Handy fallen und bin drei Schritte später bei den Fotos. Auf keinem der Bilder ist Carissa zu sehen. Stattdessen starre ich auf mich selbst. Mein Magen zieht sich zusammen, denn ich kann mich an nichts, das ich sehe, erinnern: Ich mit Penelope auf dem Deck einer kleinen Yacht. Eine Coke in der Hand haltend, liegen wir im Bikini auf dem Bauch, aufgestützt auf den Armen und lachen über irgendetwas. Ein anderes Foto zeigt ein Lagerfeuer am Strand, um das sich Menschen gruppiert haben, deren Gesichter sich in der Dunkelheit verlieren. Bierflaschen liegen im Sand und mein Gesicht schiebt sich mit ausgestreckter Zunge überblitzt und in Großaufnahme ins Bild. Auf einem weiteren entdecke ich den struppigen Hund. Wie hieß er gleich? Buffy, genau! Kein Herz ist auf ihn gezeichnet, dafür aber ist ein Bild von einem schlaksigen Jungen mit Herzen übersät, dazu der Name Jason , daneben Penelope und ich auf dem Bett in diesem Zimmer. Sie schneidet mir die Haare und ich halte anscheinend mit künstlich verdrehten Augen die Kamera von uns weg. Unwillkürlich fasse ich an meinen Kopf. Die Haare sind kurz und zottelig, so wie ich sie in Erinnerung habe.
Irgendetwas ist gewaltig schiefgelaufen. Denn dies
Weitere Kostenlose Bücher