Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
schmökern …
Ich liebe es, dabei in aufgeschäumter Milch ertränkten Espresso zu schlürfen. Wann immer es das Wetter zulässt, sitze ich draußen unter den schattenspendenden Sonnenschirmen, die Füße auf einen Blumenkübel gestreckt, bis die letzte Seite gelesen ist.
Jetzt jedoch ist mein Lieblingsplatz von Gleisen überspannt, das Gebäude ein Bahnhof, vor dem eine monströse, pechschwarze Dampflok schnauft. Unzählige Passagiere steigen eben gut gelaunt aus den Waggons, manche mit Picknickkörben und -decken in der Hand, andere mit Wanderstock unter dem Arm oder einer Kamera, die mehr einer Ziehharmonika ähnelt. Wahrscheinlich wollen sie zu dem Straßenfest, das sich auch hier durch blau-weiß-rote Fahnen und Wimpel ankündigt. Sie alle tragen Hüte, und erst nach einer Weile entdecke ich Kay wieder, der nur durch seine Größe heraussticht. Auch er hält mit abgeschirmten Augen nach mir Ausschau. Unsere Blicke treffen sich und Kay zeigt von weitem auf ein niedriges Holzhaus, vor dessen lang gestreckten blassgelben Markisen einige Autos parken.
»Hättest du nicht auf mich warten können?«, fauche ich, als ich ihn schließlich erreiche.
»Sieh dir das an.« Kay meint einen gespreizten Holzaufsteller, der mit einer Girlande umwickelt ist, wieder in den Farben der Vereinigten Staaten.
»The Old Mill Tavern«, lese ich laut. »Schinken-Sandwiches mit Fassgurken für fünf Cent. Haben wir denn fünf Cent?« Mein Hunger raubt mir zunehmend die Energie und ich würde furchtbar gern etwas essen, bevor wir den Berg hinaufsteigen, um nach Urururgroßvaters Plantage zu suchen.
Kay verdreht die Augen. »Lies weiter!«
»… Fassgurken für fünf Cent. Nur morgen am Unabhängigkeitstag!«
»Der vierte Juli!«
»Ich weiß, wann der Unabhängigkeitstag ist«, zische ich leise, da eine Frau, wenig älter als ich und mit Schürze bekleidet, aus dem Inneren der Taverne zu uns sieht. »Dann muss heute der dritte Juli sein … Du meine Güte! Das ist der Tag des Brandes! Zumindest 1929 ist er das. Lass uns reingehen und einfach fragen, in welchem Jahr wir uns befinden.«
»Und jede Menge Strafpunkte von der Jury kassieren. Auffälliger könnten wir uns nicht verhalten!«
»Dann wird uns eben eine halbe Stunde abgezogen, was soll's, aber wenn heute tatsächlich der dritte Juli 1929 ist, wird hier bald alles in Flammen stehen. Ich denke, das Risiko müssen wir eingehen!«
»Besser nicht, Alison …«
Ich lasse Kay stehen und betrete die schummrige Taverne. Jetzt, am späten Vormittag, ist sie noch ohne Gäste. Die Frau mit Schürze poliert stumm ihr Glas und betrachtet mich dabei mit gefurchter Stirn über den Tresen hinweg. Ihre kupferfarbenen Haare sind zu einem kurzen Bob geschnitten; ihr Gesicht, mit Sommersprossen übersät, wirkt trotz ihres nachdenklichen Gesichtsausdrucks niedlich und passt nicht in die düstere Taverne. Ich merke, dass ich etwas sagen muss, doch noch während ich die richtigen Worte suche, legt die Frau das Geschirrtuch zur Seite, umrundet den Tresen und geht lächelnd auf mich zu.
»Mrs Hill, wie freundlich, uns einen Besuch abzustatten«, begrüßt sie mich mit heller Stimme.
Aus Reflex greife ich die dargebotene Hand, bringe jedoch kein Wort heraus. Wie kann sie meinen Namen kennen? Das kann nicht sein … Mehr noch, es ist unmöglich! Mein Gedanken überschlagen sich, versuchen, eine Erklärung zu finden. Vielleicht habe ich mich verhört oder ich wurde, ohne es zu merken, in meine Zeit zurückportiert …
Rasch lasse ich meinen Blick durch die Taverne gleiten: Ein abgetretener dunkler Holzfußboden, gegen die Tische gelehnte Stühle, mit moosgrünem Samt bezogen. Mehrere Geweihe an der fleckigen Tapete und der ausgestopfte Kopf eines Ebers, ein vertäfelter Tresen, auf ihm bauchige Gläser, gefüllt mit Bonbons, Gurken und eingelegten Eiern … Eine altertümliche mächtige Kasse schimmert kupferfarben im trüben Licht der schwarz angelaufenen Glühbirnen … In den Regalen hinter dem Tresen stehen Säfte, Soda, Limonade und eine Reihe zierlicher Glasflaschen mit der Aufschrift Coca Cola . Nichts weist darauf hin, dass ich die Zwanzigerjahre verlassen habe.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mrs Hill?«, fragt mein Gegenüber, deren Hand ich immer noch halte, mit besorgter Miene.
Ich merke, dass ich nicht länger schweigend in die Gegend starren kann. »Es ist nur die Hitze. Ich habe etwas Abkühlung gesucht«, antworte ich endlich und tatsächlich ist meine Hand
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