Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Farbe weicht aus Kays Gesicht. Seine Miene spiegelt ein Wechselbad der Gefühle, die ich nicht verstehe, bis sie sich wieder verschließt, und langsam bin ich es leid, Kay jede Information aus der Nase zu ziehen.
»Ich bin mir absolut sicher.« Meine Stimme klingt gereizt. »Mein Großvater hat es mir erzählt. Wie durch ein Wunder ist niemand außer seiner Tante ums Leben gekommen. Nach ihr bin ich übrigens benannt. Ziemlich traurig, was?«
Kay antwortet nicht, sondern sieht mich nach wie vor entgeistert an.
»Du wirst mir nicht sagen, warum du mich so anstarrst, oder?«
»Gehen wir. Wir müssen herausfinden, welches Datum heute ist.«
Wenig später sind wir in dem Menschengewirr der Throckmorton Avenue untergetaucht. Wir gehen zügig, aber nicht überaus schnell, um unauffällig zu bleiben. Doch trotz unseres gemäßigten Schritts und der neuen Garderobe zieht Kay die Blicke der Frauen auf sich. Kichernd und tuschelnd ziehen sie an uns vorbei. Vielleicht liegt es auch an seiner Gesichtstätowierung, deren Geheimnis ich noch nicht gelüftet habe. Sollen sie ihn doch ansehen, er gehört sowieso nicht in diese Zeit. Genauso wenig wie ich.
Seit Kay von dem Brand erfahren hat, haben wir kaum Worte miteinander gewechselt. Mein Scout ist wieder so unnahbar und kühl wie bei unserem ersten Zusammentreffen. Also gehe ich schweigend neben ihm her …
Ab und zu erkenne ich einige Häuserfassaden wieder, sie drängen sich nicht durch die leuchtenden Werbeschilder auf, wie sie es fast hundert Jahre in der Zukunft tun werden, aber dann entdecke ich einen kleinen Supermarkt. Er ist vollgestopft mit Dosen, großen Gurkenfässern, von der Decke hängenden Schinken, gestapelten Holzkisten voll Obst und Gemüse … Im Jahre 2013 wird dort ein Hutgeschäft sein.
Am liebsten würde ich einen Schinken von der Decke reißen und meine Zähne hineinkeilen. Aber der Supermarkt ist noch geschlossen, ein Schild weist auf die Eröffnung für den kommenden Tag hin, so oder so, ich habe ohnehin kein Geld. Mit zusammengebissenen Zähnen gehe ich weiter. Die nächsten Häuser müssen die kommenden Epochen nicht überlebt haben, denn ich erkenne weder das Gebäude, aus der die heiß-feuchten Dämpfe einer Wäscherei quellen, noch die Apotheke mit ihren dunklen Holzregalen und etlichen Schubladen und Fächern, bestückt mit hunderten von fein beschriebenen Keramiktöpfchen und verkorkten Gläsern.
Plötzlich fliegt mit einem Knall die Ladentür auf, schlägt scheppernd gegen die Wand. Eine grauhaarige Frau mit weißem Kittel eilt mit schnellen Schritten aus der Pharmazie und reißt einen Zettel, der an ihrer Schaufensterscheibe klemmt, mit einem Ruck herunter. Sie betrachtet ihn kurz, knüllt ihn zusammen und wirft ihn sichtlich verärgert auf die befahrene Straße, direkt neben mich. Mit schnellem Griff rette ich den Zettel vor einem knatternden Ford Truck mit offener Ladefläche, der dies mit quäkender Hupe quittiert. Vielleicht finde ich ein Datum …
»Warte …« Ich zupfe Kay an seinem Pullunder.
Doch der Zettel entpuppt sich als Werbung für eine Frauengruppe, die mit Aufklärung in Frauen- und Hygienefragen wirbt. Dieses Ansinnen scheint selbst für eine Apotheke etwas zu fortschrittlich zu sein.
»Kein Datum«, antworte ich auf Kays stumme Frage, der sich nervös umsieht.
»Gut, dann weiter.«
Obwohl ich mir bewusst bin, dass die Tatsache, dass wir uns zwischen unzähligen Passanten bewegen, mich noch weiter von meiner Realität entfernen könnte, finde ich Kays Verhalten eigenartig. Er scheint sich plötzlich zwischen den vielen Menschen mehr als unwohl zu fühlen, obwohl er doch vorhin alle Zeit hatte, mit den drei Grazien zu flirten.
Ich eile ihm leise fluchend hinterher, umrunde dabei eine Traube Jungen, die mit ihren Nasen an einer Fensterscheibe kleben, um ein übergroßes Radio im Holzgehäuse zu bestaunen, aus dem blechern eine Schnulze plärrt.
Aber wo ist Kay? Verdammt! Egoistischer …
Ich schlucke einen hässlichen Fluch hinunter und sehe mich zähneknirschend um. Nirgends entdecke ich meinen Scout. Also stapfe ich wütend weiter, schlängle mich zwischen Passanten hindurch, erreiche knapp hundert Meter weiter eine Kreuzung. Auch da keine Spur von ihm. Aber … Was ist das? Mein Herz macht einen kleinen, glücklichen Hopser, als ich das Gebäude entdecke. Mein absolutes Lieblingsgeschäft in Mill Valley, ein Kaffee- und Buchladen. Wie viele Stunden werde ich dort verbringen, in einem der Bücher
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