Die Zeitreisen des Zacharias Jones (Flucht aus dem Mittelalter) (German Edition)
gleichen Gedanken gehabt und seinen Umhang so vor das Gesicht gezogen, dass nur seine Augen sichtbar waren. Erleichtert konzentrierte sich Zacharias wieder auf das Geschehen an dem Gerichtstisch.
Ein Posten trat vor den Baldachin, setzte ein Instrument an den Mund, das entfernt an eine Trompete erinnerte und blies hinein. Es war unglaublich laut und Zacharias widerstand nur mühsam dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten. Dieses Ding war bestimmt noch im letzten Winkel von Sonningen zu hören! Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis der durchdringende Ton wieder verstummte.
„Hört, ihr Leute! Männer und Frauen, Untertanen des Grafen von Sonningen! Der erste Gerichtstag im Jahre des Herrn 1358 ist hiermit eröffnet! Möge die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen!“
Der Posten verbeugte sich und zog sich zurück.
Mit ausdruckslosem Gesicht neigte der Graf den Kopf. „Schreiber, verlest die erste Anklage!“
Seiner gebieterischen Stimme war anzumerken, dass sie keinen Widerspruch gewohnt war. Erst jetzt fiel Zacharias auf, dass die Augen des Grafen rotumrändert waren. Er schien nur wenig geschlafen zu haben und seine Mundwinkel, die sich genauso nach unten zogen wie die spitze Nase, verliehen seiner Miene einen Ausdruck von Gier und Unzufriedenheit.
Die Wachen stießen den ersten Gefangenen vor den Gerichtstisch. Er war noch sehr jung, nicht viel älter als Zacharias, aber breitschultrig und hoch aufgeschossen. Den Kopf mit den kurzen, blonden Haaren hielt er demütig gesenkt, als hoffte er, so seine Lage verbessern zu können.
Feierlich stand der Schreiber auf, zog mit weit ausgestreckten Armen eine der Papierrollen auseinander und begann zu lesen: „Friedhelm, im vierzehnten Jahr stehend, Bürger von Sonningen, wird beschuldigt, zu nächtlicher Stunde in das Zunfthaus der Zinngießer eing estiegen zu sein und von dorten die Zunftbörse entwendet zu haben. Er wurde aus dem Nachbarhaus beobachtet, sodass seine Festsetzung noch in selbiger Nacht betrieben werden konnte. Die Zunft hat ihre Börse zurückerhalten.“
Der Graf musterte den vor ihm stehenden Jungen mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ein schäbiger kleiner Dieb also. Hast du hierzu etwas zu sagen?“
Ohne den Blick zu heben, antwortete der Junge so leise, dass Zacharias ihn kaum verstehen konnte.
„Ich bitte um Eure Vergebung, Herr. Mein Vater ist Steinmetz von Beruf. Seine Hand ist ihm bei der Arbeit zerschmettert worden und seit zwei Jahren schon bringt er keinen Pfennig nach Hause. Unser Notgulden ist schon lange aufgebraucht und meine Geschwister und die Mutter hungern.“
„Und warum ernährst du deine Familie nicht von deiner Hände Arbeit? Du bist jung und außerdem stark wie ein Ochse, wie mir scheint.“
„Ich habe jeden Dienst getan, Herr, ich habe geschafft und zugepackt, wo man mich ließ. Aber der Lohn hat oft nicht für das Nötigste gereicht.“
Der Graf verzog missbilligend den Mund. „Glaube nicht, Bursche, dass du hier Mitleid schinden kannst. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wenn du es nicht vermagst, für deine Geschwister zu sorgen, müssen sie sich eben selbst rühren. Niemand soll sich einbilden, er könne gegen die Ordnung verstoßen, nur weil er ein paar Mäuler zu füttern hat! Wo kämen wir da hin!“
Er wandte sich an den Schreiber. „Wie lange hat der Kerl schon eingesessen?“
Der Angesprochene raschelte mit seinen Papierrollen. „Fast genau drei Monate, Herr.“
Einer der beiden Ratsherren meldete sich zu Wort. „Dies ist nach dem Gesetz keinesfalls ausreichend, um die Schuld zu sühnen. In der Börse war mehr als ein ganzer Gulden! Das bedeutet schwerer Diebstahl! Und auf schweren Diebstahl ist an Leib und Leben zu urteilen.“
„Was sagt das Gesetz genau?“, fragte der Graf.
Der andere Ratsherr schlug das ledergebundene Buch auf, das er mitgebracht hatte, blätterte eine Weile darin herum, bis er endlich die gesuchte Stelle gefunden hatte, und las vor:
„So aber der Diebstahl groß und ein Gulden oder darüber wert wäre, so hat es mehr Strafe, als ein Diebstahl, der geringer ist.
Wo der Dieb zu solchem Diebstahl gestiegen oder gebrochen ist oder mit Waffen gestohlen hat, so ist sein Leben verwirkt.“
„Also“, sagte der Graf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das macht die Sache einfach. Der Bursche wird am Halse aufgehängt.“
„Einen Moment, Herr“, bat der Ratsherr unterwürfig. „Hier steht auch noch etwas für den Fall, dass ein Dieb besonders
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