Die Zeitstraße
Fragen nach anderen Zuständen entziehen sich dem Zugriff selbst der höchstentwickelten Logik.
Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr, als der Sender, dem Richard McHenry bisher zugehört hatte, plötzlich sein Programm unterbrach. Eine offensichtlich erregte männliche Stimme meldete sich zu Wort.
»Liebe Zuhörer, wir bringen Ihnen ein Bulletin, das uns soeben erreicht hat. Wie Sie vielleicht wissen, war geplant, in diesen Tagen die neue, von dem Firmenverbund United Aerospace Industries entwickelte Mondfähre in ersten vollmaßstäblichen Testflügen auszuprobieren. Von der Raumstation wird gemeldet, daß der erste Testflug vor etwa einer halben Stunde begonnen hat. Die Fähre trägt nur einen Piloten an Bord, und es sieht so aus, als sei dieser Mann in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Wir schalten um zur Raumstation.«
Es folgte eine kurze Pause. Verblüfft erkannte Richard McHenry, daß dies genau die Zeit war, zu der er nach der Schwenkung des Pilotensessels darauf gewartet hatte, daß das Triebwerk die Fähre abzubremsen begann. Er hatte nicht mehr daran gedacht. Bei seinem Grübeln über die Daseinsebenen hatte er vergessen, auf die Zeit zu achten.
Aus dem Radio kam nun, von Störgeräuschen untermalt, die Stimme des Mannes von der Raumstation.
»Jeff Cooper hier, Sprecher für UAI. Die Mondfähre startete heute um zweiundzwanzig Uhr achtunddreißig östlicher Sommerzeit von der Raumstation zu ihrem ersten Testflug zum Mond. Sie legte die Entfernung von rund einhundertneunzigtausend Kilometern bis zum Umschaltpunkt – also bis zu dem Punkt, an dem von positiver auf negative Beschleunigung umgewechselt werden muß – innerhalb von rund zweiunddreißig Minuten zurück. Durch einen Versager kam es nicht zum Einschalten der negativen Triebwerkswirkung. In diesem Augenblick treibt die Fähre antriebslos und mit hoher Geschwindigkeit auf den Mond zu. Das Test-Team unter Führung des Flugleiters Karl Wetzstein ist mit fieberhafter Aktivität dabei, den Fehler zu finden und die Mondfähre zu einer sicheren Landung auf dem Mond zu steuern. Es wird in wenigen Minuten … einen Augenblick, im Moment erhalte ich neue Informationen.« Im Hintergrund war Gemurmel zu hören. Sekunden später war der Sprecher wieder am Mikrophon, und in seiner Stimme schwang unverkennbare Panik. »Soeben wird mir mitgeteilt, daß ein fehlerhaftes Relais im Bordkomputer nicht am Versagen des Triebwerks schuld ist. Das Relais wurde durch manuelle Schaltung überbrückt, und trotzdem springt das Triebwerk nicht an. Unglücklicherweise wurde für die Überbrückung des Relais so viel Zeit verbraucht, daß weitere Versuche, die Fähre zu retten, nun wegen deren hoher Geschwindigkeit wenig Aussicht auf Erfolg haben. Es muß leider damit gerechnet werden, daß die Fähre mitsamt dem Testpiloten, Richard McHenry … einen Augenblick, ich werde schon wieder unterbrochen.« Und, vom Mikrophon abgewandt: »Ja, was ist denn nun schon wieder?« Eine Pause, unterdrücktes Gemurmel, dann einige Sekunden lang absolute Stille. Schließlich wieder die Stimme des Sprechers, ernst, pathetisch: »Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen die traurige Mitteilung machen, daß die Fähre vor wenigen Augenblicken auf der Oberfläche des Mondes zerschellt ist. Hier ist Jeff Cooper. Ich verabschiede mich und gebe zurück an die Funkhäuser.«
Der Mann im Funkhaus hatte auf sein Stichwort gewartet. Er war sofort zur Stelle. Den Zuhörern sollte nicht die Gelegenheit gegeben werden, aus eigener Kraft über das Unglück nachzudenken. Sie sollten die Meinung der Fachleute hören.
»Hier ist Radio WBOR, Riceboro, Georgia. Liebe Zuhörer, wir alle sind erschüttert von der Katastrophe, die sich vor wenigen Minuten auf dem Mond abgespielt hat. Wir versuchen, uns vorzustellen, was geschehen ist. Aber wenn es Ihnen so geht wie mir, dann reicht Ihre technische Bildung nicht aus, um die Zusammenhänge zu begreifen. Hier im Studio sitzt an meiner Seite unser technischer Experte, Doktor Milton Kuhn. Milton, was haben Sie …«
Richard McHenry schaltete den Empfänger ab. Er hatte die Worte des Sprechers von UAI noch in den Ohren, und sie bestätigten den Verdacht, den er schon an Bord der Fähre empfunden hatte: daß den Leuten hinter ihm der Erfolg der Mission wichtiger war als die Sicherheit des Testpiloten.
Weitere Versuche, die Fähre zu retten, hatte Jeff Cooper gesagt. Nicht den Testpiloten, die Fähre! Die Fähre mitsamt dem Testpiloten, hatte er auch gesagt, nicht
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