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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Richard McHenry, würde er in wenig mehr als einer Viertelstunde auf der Mondoberfläche zerschellen.
    Mit einem Knacken erwachte der Empfänger wieder zum Leben.
    »Dick, wir haben ein Problem«, erklärte Wetzsteins sachliche Stimme. »Aber es besteht kein Grund zur Panik.«
     
    »Die Diagnostik weist auf ein fehlerhaftes Relais im Bordrechner hin«, fuhr Wetzstein fort. »Das Relais kann durch Handschaltung überbrückt werden. Ich lese dir jetzt eine Liste von Schaltungen vor. Jedesmal, wenn …«
    »Karl, ich glaube nicht, daß wir soviel Zeit haben«, unterbrach ihn Richard McHenry. »Wie wäre es, wenn ich die Steuerdüsen betätige und die Fähre am Ziel vorbeilenke?«
    »Das wäre ein Fehlschlag des Unternehmens«, antwortete Wetzstein sofort. »Ich sage dir, so kritisch ist die Lage noch nicht.«
    »Verstanden«, bestätigte McHenry, aber im Hintergrund seines Bewußtseins kam die Sorge auf, ob der Flugleiter das Risiko vielleicht höher bewerte als die Sicherheit seines Testpiloten.
    »Also Schaltung eins«, sagte Wetzstein: »Kernspeicher, zweiter Quadrant, aus!«
    »Kernspeicher, zweiter Quadrant, aus!« wiederholte McHenry, nachdem er die Schaltung durchgeführt hatte.
    »Manuelle Schaltung möglich – ein!«
    »Manuelle Schaltung möglich – ein!«
    Richard McHenry führte insgesamt sechs Schaltungen durch. Danach riet ihm Wetzstein:
    »Lehn dich zurück und entspanne dich, mein Junge. Den Rest besorgen wir von hier aus. Der Andruck wird etwas schlimmer werden als zuvor. Um dich von deiner Höllenfahrt herunterzukriegen, müssen wir zeitweise bis auf zwanzig Gravos gehen!«
    McHenry spannte die Muskeln in Erwartung der Bremswirkung. Ein paar Sekunden vergingen. Ein furchtbarer Verdacht blitzte auf. Wenn es nun das Relais gar nicht war …?
    Aufgeregte Stimmen im Empfänger. Wieviel Zeit war vergangen, seitdem er mit den Schaltungen begonnen hatte? Wie viele Minuten hatte er nutzlos vergeudet? Wie weit war er noch vom Mond entfernt? Die riesige, weißlichgraue Kugel starrte ihn vom Bildschirm herab höhnisch an. Jemand schrie:
    »Das geht doch nicht! Da muß er doch …«
    Der Rest war Gemurmel. Jemand hatte dem voreiligen Rufer die Hand auf den Mund gepreßt. Gleich darauf war Karl Wetzsteins Stimme zu hören.
    »Wir betätigen jetzt die Steuerdüsen, Dick. Die Fähre wird rechts – von dir aus gesehen – am Mond vorbeigelenkt. Alles Weitere später!«
    Kein Wort über das defekte Relais, das mit Hilfe der sechs Handschaltungen angeblich umgangen worden war. Kein Wort auch darüber, daß das Ablenkmanöver viel zu spät kam. Die Fähre war nicht dafür eingerichtet, rapide Kursänderungen zu vollführen. Beschleunigen und Bremsen, das waren ihre Stärken. Von der Fähigkeit, den Kurs zu ändern, sprach niemand. Sie brauchte nicht stark entwickelt zu sein, solange die Fähre planmäßig flog. Zudem war die Fähre ein Ding, das man an Behörden und wissenschaftliche Institutionen zu verkaufen gedachte. Da sprach man nur über die Stärken des Objekts, nicht aber über seine Schwächen.
    Die Angst griff nach Richard McHenry. Die Augen starr auf den Bildschirm gerichtet, versuchte er, die Bewegung zu erkennen, die sichtbar werden mußte, sobald die Steuerdüsen zu arbeiten begannen. Der Mond war keine Scheibe mehr. Er füllte den ganzen Bildschirm aus, eine Höllenlandschaft aus grauem Fels, weißem Licht und schwarzem Schatten. McHenrys Blick fixierte einen prominenten Krater und glaubte zu erkennen, daß er sich seitwärts bewegte, viel zu langsam. Sein Umfang wuchs rascher, als er seine Position veränderte.
    Richard McHenrys Gedanken verwirrten sich. Er war dem Tod oft nahe gewesen, aber niemals auf so ausweglose Art und Weise wie diesmal. Sein Bewußtsein verkrampfte sich. Die Furcht vor dem Tod schürzte es zu einem Knoten. Richard McHenry wußte nicht mehr, was er sah, und verlor jedes Gefühl für den Ablauf der Zeit. Die zerrissene Oberfläche des Mondes erschien ihm wie eine Fratze des Todes. Sein Inneres bäumte sich auf gegen das erbarmungslose Geschick, das ihn dazu verdammt hatte, auf der Oberfläche des toten Himmelskörpers zu zerschellen, mit der höchsten Geschwindigkeit, die je ein bemanntes Fahrzeug erreicht hatte. Er begann zu schreien. Er schrie, daß ihm in der Enge des Helms die Ohren dröhnten. Er sah die Einzelheiten des Mondgeländes auseinanderweichen, nach allen Seiten davongleiten, als hätten sie es eilig, von der Aufschlagstelle wegzukommen. Er biß sich auf die Zunge

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