Die Zeitstraße
keine Worte mehr gewechselt. Nach wenigen Minuten zeigte sich der Erfolg der Schaltungen, die Richard McHenry vorgenommen hatte. Die Steuerdüsen waren in Tätigkeit getreten. Die Fähre wurde langsam nach oben gedrückt – wobei »oben« in McHenrys schwerelosem Zustand willkürlich als die Richtung gewählt wurde, in der sich der Bildschirm befand. Die Scheibe des Mondes begann allmählich, von der Bildfläche ab nach unten zu wandern. Noch ein paar Minuten später stand fest, daß das Manöver keine weitere Sekunde hätte verzögert werden dürfen. Die Fähre schoß zwar unbeschädigt am Mond vorbei, aber am Punkt des geringsten Abstands war sie nur knapp zwanzig Kilometer von der Mondoberfläche entfernt.
Jetzt erst setzte sich McHenry wieder mit dem Flugleiter in Verbindung. Noch immer glitt die Fähre mit unverminderter Geschwindigkeit ins All hinaus. Flugleiter und Testpilot kamen überein, daß McHenry per Hand den Gyro in Bewegung setzen sollte, mit dem die Fähre sich um ihre kurze Achse drehen ließ. Der Vorgang nahm mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. Das war der Grund, warum Richard McHenry diese Möglichkeit, sich vor dem Absturz auf dem Mond zu bewahren, erst gar nicht in Erwägung gezogen hatte. Nach der Drehung der Fähre konnte das Bugtriebwerk wieder eingeschaltet und zum Bremsen verwendet werden. Inzwischen hatte man auf der Raumstation einen Flugplan entwickelt, der es McHenry ermöglichte, direkt zur Station zurückzukehren, ohne auf dem Mond eine Zwischenlandung einzulegen. Er hatte in der halben Stunde, die er antriebslos über den Mond hinausgeschossen war, annähernd 360 000 Kilometer zurückgelegt. Seine Rückkehr würde längere Zeit in Anspruch nehmen, fast anderthalb Tage. Die ungeheure Leistung des Triebwerks der Mondfähre durfte nur zu einem Zehntel in Anspruch genommen werden, da die Steuerung – wenn auch nach den Kommandos von der Raumstation – in der Hauptsache manuell erfolgte. Kurz vor dem Ende der Reise würde Richard McHenry die Fähre abermals wenden müssen, so daß die Fahrt abgebremst werden konnte.
Hatte zuvor die Öffentlichkeit sich kaum um den Versuch eines Privatunternehmens, ein neues Raumfahrzeug zu testen, gekümmert, so waren die Nachrichtensendungen nach Richard McHenrys spektakulärer Rettung vor dem Absturz auf dem Mond für die folgenden zwei Tage nur noch von einem Thema beherrscht: der Mondfähre. McHenry kehrte wohlbehalten, wenn auch ein wenig hungrig, zur Raumstation zurück. Wenn alles nach Fahrplan gegangen wäre, hätte er nach seiner Landung auf dem Mond für die Dauer von einem Tag ein Quartier in der unbemannten, automatischen Mondstation bezogen und sich von den dortigen Vorräten ernährt.
Man brachte ihn sofort zur Erde, wo UAI ihn ein paar Tage lang vor der Öffentlichkeit verborgen hielt. Man hatte bei United Aerospace Industries den Bericht des Flugleiters Wetzstein noch nicht vergessen, wonach Richard McHenry, obwohl bewährter Testpilot, im kritischen Augenblick durchgedreht und sich geweigert hatte, den Anweisungen des Flugleiters zu gehorchen. Das konnte man nicht durchgehen lassen, glaubte man, zumal nach wie vor die Ansicht bestand, daß allein ein fehlerhaftes Relais, das sich innerhalb weniger Minuten hätte überbrücken lassen, am Versagen des Triebwerks schuld war.
Dann jedoch kam die Sensation, die allerdings nie in vollem Umfang bis an die Ohren der Öffentlichkeit gelangte. Das Relais entpuppte sich als schuldlos. In Wirklichkeit hatte ein Kontrollelement des Bugtriebwerks versagt. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte ein Diagnostikprogramm des Großrechners in der Raumstation den Versager infolge eines Programmfehlers falsch gedeutet und dem gänzlich unschuldigen Relais in die Schuhe geschoben. Richard McHenry wäre also tatsächlich auf dem Mond zerschellt, wenn er den Anweisungen des Flugleiters gefolgt hätte. Nur seine Eigenwilligkeit hatte ihn vor dem Tod – und den teuren Mondfähren-Prototyp vor der Vernichtung – bewahrt.
Insgeheim fragte man sich, woher Richard McHenry hatte wissen können, daß es entgegen der Komputer-Diagnostik nicht das Relais war, das das Versagen des Triebwerks verursacht hatte. Man fand dafür keine Erklärung, und McHenry verweigerte die Aussage. So schrieb man die Sache schließlich, mit mehr oder weniger schwülstigen Worten, dem »Instinkt des geübten Testpiloten« zu.
Wichtiger allerdings war, wenigstens für Richard McHenry, eine andere Frage, auf die er jedoch
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