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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Bildwerk stellte ein Tier von gräßlichem Äußeren dar, halb Echse, halb Tintenfisch, drei große Glotzaugen und vier tentakelartige Beine. Die Plastik war nur einen Meter hoch und nicht mehr als drei lang. Aber sie brauchte nicht Lebensgröße darzustellen. Das Urbild, etwa dreimal so groß wie das Gebilde auf der Bahre, mochte Gamecluqs Ungeheuer sein. Es gab keinen Zweifel, daß für die Grünhäutigen die Statue das Abbild eines Götzen darstellte. Die Bahre wurde unmittelbar vor dem Feuer abgesetzt. Die Träger traten zur Seite und verharrten reglos. Da erkannte Pommeroy, daß die ganze Zeit über hinter der Bahre ein weiteres Wesen geschritten war, ebenfalls ein Grünhäutiger, der eine Art Kelch mit beiden Händen trug.
    Von da an entwickelte sich die Zeremonie überaus rasch und auf eine Weise, die Ohl Pommeroy vom Status des interessierten Zuschauers in den Stand des unmittelbar Beteiligten versetzte. Vor lauter Schauen war er nicht dazu gekommen, sich Gedanken darüber zu machen, was die Grünhäutigen mit ihm vorhaben mochten. Jetzt jedoch sah er den Kelchträger auf sich zutreten, und es bemächtigte sich seiner eine unheilvolle Ahnung. Zum ersten Mal nahm er mit einem raschen Blick seine nähere Umgebung in Augenschein. Er hockte nicht auf dem Boden, sondern etwa einen Meter höher auf einer flachen Steinplatte. Wenn er den Kopf wandte, sah er hinter sich nicht nur die steinerne Stütze, die er mit den Schultern berührte, sondern auch die Gliedmaßen zweier Grünhäutiger, die anscheinend schon die ganze Zeit über reg- und lautlos hinter ihm gestanden hatten.
    Der Grünhäutige mit dem Kelch beugte sich zu ihm herab. Der schlitzförmige Mund öffnete sich und brachte eine Reihe dumpfer, unverständlicher Laute hervor. Der Kelch neigte sich Pommeroys Lippen entgegen. Plötzlich verstand er. Er sollte geopfert werden! Man wollte ihn dem scheußlichen Götzen darbringen, und der Kelch enthielt ein Gift! Er bäumte sich auf. Er versuchte, die Fesseln zu sprengen. Er wandte den Kopf zur Seite, um dem Kelch zu entgehen. Da traten die beiden Wächter in Aktion, die bisher untätig hinter ihm gestanden hatten. Ein Paar Arme, an die Tentakel erinnernd, die Pommeroy bei seiner Gefangennahme im Dschungel umschlungen hatten, packten ihn bei den Schultern und zwangen ihn mit unwiderstehlicher Kraft, sich ruhig zu verhalten. Ein Paar Hände schlangen sich ihm um den Hals und drückten zu, so daß er panikartig den Mund aufriß, um nach Luft zu schnappen.
    Auf diesen Augenblick hatte das Wesen mit dem Kelch gewartet. In einem Guß entleerte sich der Inhalt des Gefäßes in Pommeroys weit geöffneten Mund. Im selben Augenblick lockerte sich der Würgegriff der grünen Hände. Pommeroy hustete und spie. Aber in dem Augenblick, in dem die Hände losließen, füllte sich die Lunge selbsttätig mit Luft, und der Schlund vollführte konvulsivische Schluckbewegungen. Es gelang Pommeroy, etwa die Hälfte der übelschmeckenden Flüssigkeit wieder auszuspeien; aber den Rest nahm er in sich auf.
    Totenstille lag über der Lichtung im Dschungel. Pommeroy selbst saß starr und wartete auf die Wirkung des teuflischen Trunks. Die Stielaugen der Grünhäutigen waren auf ihn gerichtet. Er spürte plötzlich eine merkwürdige Leichtigkeit. Der Schmerz im Hals, der von dem Würgegriff herrührte, verschwand wie weggewischt. Ein Gefühl der Glückseligkeit befiel den Raumfahrer. Dann begannen die Umrisse der Szene zu verschwimmen. Die dürren Gestalten der Grünhäutigen begannen zu schwanken und zerflossen zu bunten Fahnen, die sich in wirbelnde Nebelfetzen auflösten. Die Rammen des Feuers wuchsen zu einer riesigen Wand aus glühenden Farben. Die Welt war plötzlich erfüllt von tobendem Lärm. Pommeroy spürte, wie ihm die Kraft aus dem Muskeln wich. Sein Kopf sank zur Seite.
    Dann war alles vorüber.
     
    »Heh, Pommeroy! Aufwachen!«
    Ohl Pommeroy fuhr in die Höhe. Verwirrt sah er sich um. Ringsum war das Halbdunkel des kleinen Kommandostands, ein halbkreisförmiger Raum mit elektronischem Gerät und einem riesigen Bildschirm, der unter der Decke das Halbrund entlanglief.
    Die Stimme, die Pommeroy geweckt hatte, war die Stimme des Kommandanten, Semmering Fauchet, der in den vergangenen Stunden das Amt des Piloten versehen hatte. Mit der Leuchtkraft und Plötzlichkeit eines Blitzes kam Ohl Pommeroy zu Bewußtsein, daß er diese Szene schon einmal erlebt hatte. Die Erinnerung war plötzlich wieder da – die Szene auf der

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