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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Gamecluqs Ungeheuer hier auf die Lichtung hinausgelangten, ohne im Urwald Spuren zu hinterlassen? Gewiß doch erwartete man von einer Bestie, die vierzig Zentner wog und acht Meter lang war, daß sie im Gestrüpp Büsche und Bäume umknickte oder zur Seite schob. Bei ersten vorsichtigen Tastversuchen fand er die Lösung. Die Gewächse des Waldes, die auf den ersten Blick der Flora irdischer Tropenwälder ähnlich genug sahen, hatten schwammig-elastische Stämme, die dem geringsten Druck nachgaben und zur Seite wichen. Es war nahezu unmöglich, sie zu beschädigen. Selbst als Pommeroy mit einer Machete auf die eigenartigen Pflanzen eindrosch, wichen sie eher vor der Schärfe der Klinge aus, als sich verletzen zu lassen.
    Der Eifer des Forschers packte ihn. Die Waffe in der Rechten, die Machete in der Linken, drang er ein paar Meter weit in den Dschungel ein. Grünliches Halbdunkel umgab ihn. Die Luft war heiß und feucht und voll eines eigenartigen, jedoch nicht unangenehmen Geruchs. Pommeroy blieb vor dem schlanken Stamm eines palmenähnlichen Gewächses stehen. Die eigentlichen Blätter oder Wedel wurden erst in großer Höhe ausgebildet. Jedoch schon dicht über dem Boden drangen aus dem Stamm kurze Stiele, etwa eine Handspanne lang, an deren Ende eine Art Knospe saß. Die Knospe war kugelrund und hatte ein Muster, das an ein menschliches Auge gemahnte. Beim Umherschauen entdeckte Pommeroy, daß palmenartige Gewächse dieses Typs bei weitem den größten Teil der gesamten Dschungelvegetation ausmachten. Es gab sie überall und in allen Größen, vom winzigen Schößling, der kaum Zeit gehabt hatte, den ersten Wedel auszubilden, bis zum Giganten, der über dreißig Meter weit in die Höhe ragte.
    Ohl Pommeroy fand nichts dabei, noch ein paar Schritte weiterzugehen. Der Dschungel setzte ihm kein Hindernis entgegen. Solange er seine vier Leute draußen auf der Lichtung noch lärmen hören konnte, bestand keine Gefahr, daß er sich verirrte. Und Gamecluqs Monstren würden sich hoffentlich nicht völlig geräuschlos nähern. Vor einer Palme, die kaum höher war als er selbst und einen merkwürdig zerfressenen Blattwuchs aufwies, blieb er stehen. Sie hatte unmittelbar unter der Stelle, an der die Wedel aus dem Stamm traten, eine kleine Verdickung. Das Auffällige an dieser Pflanze war, daß nur aus dieser Verdickung, aber nirgendwo sonst am Stamm, die Augenstiele wuchsen. Es gab insgesamt zwei. Pommeroy betrachtete sie fasziniert.
    Und plötzlich hatte er das Gefühl, die »Pupillen« der beiden Augen hätten sich verengt. Er erschrak. Trotz der Hitze lief ihm ein Schauer über den Rücken. Welch eine unwirkliche Vorstellung! Pflanzen, die sehen? Er überwand seine Abneigung und trat näher, um die eigenartigen Stiele besser inspizieren zu können. Sie trugen einen weichen, kurzhaarigen Flaum, und das, was er mit einem menschlichen Auge verglichen hatte, war nicht etwa ein Resultat der Färbung der Knospe, sondern wirkliche Struktur, ein Zusammenwirken von verschiedenen Pflanzenteilen, die die Illusion eines Auges erzeugten.
    Er trat einen Schritt zurück. Da sah er, wie sich in der Verdickung unterhalb der Wedel eine schmale, schlitzförmige Öffnung bildete. Er traute seinen Ohren nicht, als aus der Öffnung ein kurzer, dumpfer Laut drang. Sein Instinkt sagte ihm, daß er sich in Gefahr befand. Er riß die Waffe hoch, senkte den Finger auf den Auslöser …
    Was dann kam, ging viel zu schnell, als daß er es hätte begreifen können. Aus dem Halbdunkel des Waldes schnellte etwas Undefinierbares auf ihn zu. Es wickelte sich um ihn, preßte ihm die Arme dicht an den Körper. Er wollte schreien, da fuhr es ihm in den Mund und erfüllte ihn mit widerwärtigem, ekligem Geschmack. Ohl Pommeroy zappelte und trat um sich; aber je heftiger er sich bewegte, desto mehr schien er sich in dem fremdartigen Netz zu verfangen.
    Er fühlte einen stechenden Schmerz im Nacken, und Sekunden später erlosch sein Bewußtsein wie eine Kerze, in die der Wind geblasen hatte.
     
    Er erwachte zu den Klängen eines unwirklichen Gesanges. Ein Gesang wenigstens mußte er sein, denn wenn er, vorerst noch mit geschlossenen Augen, scharf hinhörte, konnte er artikulierte Laute voneinander unterscheiden und Stellen erkennen, an denen sich die nicht besonders lebhafte Melodie wiederholte. Immer noch mit geschlossenen Augen versuchte er, zunächst durch Tasten, Drehen und Strecken seine Lage zu erkunden. In seinem Schädel wühlte ein dumpfer Schmerz.

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