Die Zeitwanderer
Herz.
»Ich schätze, wir sollten es diesen Abend noch einmal versuchen, wenn -«, begann er zu sprechen und hielt dann abrupt inne. »Autsch!«
Lady Fayths Fingernägel bohrten sich in seine Taille. Ihre Augen hatten sich voller Staunen geweitet; und ihr Gesicht und ihre rostrotbraunen Haare strahlten im Licht eines goldenen Sonnenaufgangs. Er wandte seinen Blick von ihr fort und sah, was ihre Aufmerksamkeit fesselte: eine lange, gerade, mit Steinen befestigte Allee - die von einer Doppelreihe von Sphinxen gesäumt wurde.
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
E s bewegte sich nicht das geringste Lüftchen. Doch die Hitze des Tages wurde schwächer, während sich die Sonne gen Westen senkte. Die Spiegelsee machte ihrem Namen alle Ehre: Ihre Oberfläche war so glatt wie geschmolzenes Glas und reflektierte einen bleichen, mit Wolken gesprenkelten Himmel.
Arthur Flinders-Petrie starrte geistesabwesend auf den prächtigen Anblick des Hafens und des halbmondförmigen Bogens der Bucht, die sich unter ihm ausbreiteten. Er war voller sorgenvoller Gedanken, und sein Herz war schwer. Während der letzten Wochen seiner Rekonvaleszenz, die er größtenteils in der Gesellschaft von Wu Chen Hus geistreicher Tochter Xian-Li verbracht hatte, war er in viel mehr als nur einer Weise zu einem neuen Leben erweckt worden.
Nun war es an der Zeit zu gehen.
Hätte er ganz allein und frei wählen können, wäre er möglicherweise auf unbestimmte Zeit hier geblieben. Doch die Handelssaison ging auf ihr Ende zu, und auf Erlass der chinesischen Behörden mussten alle Ausländer das Land verlassen.
Es war das Gleiche wie in jedem Jahr; nichts hatte sich in dieser Hinsicht verändert. In den nächsten paar Tagen würden alle Schiffe auslaufen. Normalerweise wäre er froh, wieder nach England zurückzukehren - so schnell ihn die Winde dorthin tragen könnten. Aber in diesem Jahr entdeckte Arthur, dass er einen Grund hatte, um zu bleiben.
»Ich werde Euch vermissen, Xian-Li«, offenbarte er, und in seiner Stimme klang ein sehnsüchtiger Tonfall mit.
»Und ich werde Euch ebenfalls vermissen, mein Freund«, erwiderte sie und berührte voller Scheu seinen Arm. Dann lächelte sie. »Aber eines Tages werdet Ihr zurückkommen.«
»Das werde ich, und zwar bald«, erklärte er. »Ich verspreche es.«
»Und bis dahin habe ich diese wunderschönen Schuhe, um mich an Euren Besuch zu erinnern.« Sie lächelte, hob den Kleidersaum an und deutete auf die Spitzen ihrer zarten, ungebundenen Füße, sodass er die glitzernde blaue Seide ihrer perlenbesetzten Pantoffeln sehen konnte. »Habt Dank dafür.«
»Ich bin es, der in Eurer Schuld steht, Xian-Li«, sagte Arthur und betrachtete die schlanke, dunkelhaarige junge Frau neben ihm: wie ihr rotes Gewand schimmerte, wie ihr schwarzes Haar glänzte. »Ach, es ist eine Schuld, die ich niemals voll und ganz zurückzahlen kann.«
»Sprecht nicht von Schuld und Bezahlung«, schalt sie ihn sanft. »Was ich getan habe, geschah für die Ehre meiner Familie, und ...« Sie hielt inne und senkte schüchtern ihren Kopf.
»Und?«, fragte Arthur, der ihre Unsicherheit spürte.
»Und wegen Eurer Freundschaft mit meinem Vater.«
»Nur deswegen?« Eine Gefühlsaufwallung stieg in seinem Inneren auf. Die Zeit wurde knapp; er konnte diesen Ort nicht verlassen, ohne Gewissheit zu haben. »Gibt es da noch etwas?«
Xian-Li schaute nicht auf. Arthur blickte auf ihren gebeugten Kopf; ihr langes schwarzes Haar fiel wie ein Vorhang herab. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen und folglich ihm nicht entnehmen, was sie vielleicht gerade dachte oder fühlte.
»Bitte, Arthur«, sagte sie schließlich. »Mehr kann es nicht geben. Fragt mich nicht danach.«
»Aber ich frage Euch, Xian-Li«, entgegnete er. »Ich frage, weil in der kurzen Zeit, die wir zusammen verbracht haben, in mir eine sehr starke Liebe zu Euch entstanden ist.«
»Ihr werdet immer mein teurer Freund sein, Arthur«, erklärte sie; ihr Blick war nach wie vor auf den Boden gerichtet. »Immer.«
»Ich würde gerne noch mehr für Euch sein«, gestand er. Dann schlug er die konventionelle Schüchternheit in alle vier Winde und fügte hinzu: »Heiratet mich, Xian-Li. Werdet mein Eheweib.«
Sie blickte rasch auf; ihr Gesichtsausdruck offenbarte ihre Not. »Arthur, nein ... bitte, nein. Das kann nicht sein.«
»Warum nicht?«, fragte er. Dass er nun das Innerste seines Herzens zum Ausdruck gebracht hatte, machte ihm Mut. »Was hindert uns daran?«
Ihr Gesicht umwölkte sich
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